Die Giftköchin
Zeiten, als Indien und die Sowjetunion Verhandlungen über Flottenstützpun k te führten. Diese Zeiten waren vorbei. Das schwere tropische Klima hatte Troitalew veranlaßt, allzu große Mengen Wodka zu trinken. Ihm waren einige seemänn i sche Fehleinschätzungen unterlaufen, die j ü ngeren Offiziere hatten peinliche Berichte über ihn geschrieben, es hatte Neid und Mißgunst gegeben. Der Korvettenkap i tän war bald nach Breshnews Tod zur Ostseeflotte ve r setzt worden. Nicht einmal einen mittelschweren Zerst ö rer hatte man ihm hier anvertraut, nur dieses alte, rostige und lahme Minensuchboot »Stachanow«, dessen Besatzungsmitglieder, abstinente Trottel allesamt, sich in den engen Gängen des Schiffes gegenseitig auf die Füße traten. Troitalew mochte nicht an die alten ruh m reichen Tage zurückdenken, sie würden nie mehr wi e derkehren. Er mußte sich mit dem Augenblick begn ü gen, dem traurigen Alleinsein in seinem muffigen Salon, wo nicht einmal mehr über die wichtigste Tagesroutine Meldung gemacht wurde.
Kapitän Troitalew fühlte sich als der einzige wirkliche Rebell seines Schiffes, er hatte oft Lust gehabt, ein dichtes Minenfeld mitten in dieses düstere Binnenmeer zu legen und dann seine Besatzung zu zwingen, die »Stachanow«, diesen Schrotthaufen, in die eigenen M i nen zu fahren. Das wäre das Ende von allem, ein gro ß artiger Abgang, und irgendwann würde er sich vielleicht wirklich zu dieser Maßnahme aufraffen. Nicht, daß er Gorbatschow haßte, er kannte diesen feurigen Fanatiker vom Festland nicht einmal persönlich, aber auch für Landratten mußte es Grenzen geben.
Als junger Seeoffizier hatte Troitalew sich oft vorg e stellt, sein Kriegsschiff würde eine in Not geratene Mee r jungfrau retten, sie hätte eine Kette aus Muscheln um den weißen Hals und eine kalte Flasche Champagner zwischen den Brüsten. Heute täten es auch eine g e wöhnliche Hafenhure und eine Flasche Wodka.
Wenn der Mann sich ändert, wechseln auch die Träume. Außerdem war es sinnlos zu träumen. Wie sollte man erwarten, hier in den eisigen Wellen des Finnischen Meerbusens eine gute Fee zu finden, die wenigstens ein bißchen Trost in den einsamen Alltag eines alten Seebären bringen würde.
In diesem Moment wurde an der Tür des Salons g e klopft, und einer der unerträglichsten Trottel, der zweite Steuermann Jesow, stolperte herein:
»Genosse Kapitän, ist es erlaubt, eine Meldung zu machen?«
»Ärhmh … «
»Unser Schiff hat eine Frau gerettet.«
Kapitän Troitalew blickte fragend auf.
»Die Frau ist Ausländerin und beschwipst. Führt A l kohol mit sich.«
»Verflucht nochmal! Spucken Sie schon aus, was das bedeutet!«
Der zweite Steuermann erklärte, vielmehr wisse man nicht. Die Frau sei Ausländerin, daraus zu schließen, daß sie kein Russisch spreche, oder doch, ein paar Worte, aber das seien Militärausdrücke und zwar zie m lich abwertende. Die Frau habe lästerliche Gedichtzeilen zitiert, die ungefähr so lauteten: »Schmeiß den Russen um, dann ist er stumm.«
Der Kapitän knurrte, Lieder von Betrunkenen bra u che man nicht ernstzunehmen.
»Die Frau hat außerdem eine Leiche mit sich, Genosse Kommandeur.«
Troitalew befahl, die Frau in seinen Salon zu bringen. Als sich der Steuermann entfernt hatte, nahm er einen Schluck Wodka und grübelte verblüfft, ob sein ewiger alberner Traum von der betrunkenen Meerjungfrau endlich in Erfüllung ging oder ob er ins Delirium kam. Letzteres schien ihm wahrscheinlicher.
Bald wurde von zwei Matrosen eine kleine, zierliche Frau hereingeführt, die zwischen ihren Begleitern ganz leicht schwankte. Der Kapitän gab der Frau ein Zeichen, sich zu setzen, die Matrosen schickte er hinaus. Troit a lew betrachtete die Witwe Ravaska. Ziemlich betagt für eine Meerjungfrau, konstatierte der Kapitän. Sein übl i ches Los. Nun ja, Schwamm drüber. Die Dame war also Ausländerin, sprach sie Englisch? Oder Deutsch?
Linnea erwiderte auf Deutsch, sie sei Finnin, Pensi o närin, Witwe eines Oberst. War sie von den Russen verhaftet worden?
Troitalew erklärte, darum handle es sich nicht. Man müsse jedoch eine vorläufige Vernehmung durchführen. Aus welchem Grund habe Frau Ravaska gleich als erstes der Mannschaft ein beleidigendes Soldatenlied vorg e sungen? Hatten die Finnen irgend etwas gegen die Krasnaja Flotta?
Linnea sprach ihr Bedauern aus, sie habe nicht die Absicht gehabt, die Besatzung des Schiffes zu beleid i gen, ihr seien nur auf die Schnelle keine
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