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Die Giftköchin

Die Giftköchin

Titel: Die Giftköchin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arto Paasilinna
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Toten den Rücken zu. Sie dachte bei sich, daß in solchen Momenten Mü t ter, sogar Pflegemütter, den Tod ihres Kindes beweinen. In ihre Augen trat jedoch nicht eine einzige Träne.
    Nebel senkte sich langsam über das Meer, die Sonne versteckte sich hinter einem Dunstschleier, und in der Ferne erklangen wieder die eintönigen Klagen der Nebe l sirenen.

24
    Die alte Frau und das Meer: Linnea Ravaska trieb auf den einsamen Wellen, allein mit ihrem toten Pflegesohn. Der graue Nebel bildete rings um die traurige Bootsb e satzung einen kleinen Kreis, außerhalb dessen nichts anderes mehr zu existieren schien. Das Boot befand sich unendlich weit draußen auf dem Wasser, nicht einmal mehr die warnenden Klagen der Nebelsirenen waren zu hören.
    Nach einigen Stunden versank auch der letzte blasse Sonnenschimmer westwärts am Meer. Dämmerung senkte sich über die alte Frau. Linnea hockte wie ein kleiner Vogel auf der vorderen Ducht, mit trockenen Augen, in zusammenhanglose Gedanken versunken.
    Bevor es dunkel wurde, überkam sie ein starker Durst. Während des ganzen Tages hatte sie keinen Bissen zu essen und keinen Tropfen Flüssigkeit zu sich genommen. Hunger verspürte sie nicht, aber wenn sie an klares, kaltes Wasser dachte, wurde der Durst une r träglich. Die reichlichen Bierreserven ihres toten Pfleg e sohns fielen ihr ein. Sie öffnete eine kühle Büchse und trank den Inhalt gegen ihren Durst. Himmlisch, irgen d wie begann Linnea, die Biertrinker zu verstehen. Der knappe halbe Liter Bier hatte eine ziemliche Wirkung auf die zarte Frau. Ihre resignierte Niedergeschlagenheit schwand bald, sie begann, entschlossener über ihre Situation nachzudenken. Sie lebte soweit auf, daß sie das Boot zu säubern und zu ordnen begann wie eine geschäftige Hausfrau oder wie eine fleißige Vogelmutter ihr Nest.
    Als erstes versenkte sie die Bierbüchsen, die Kauko geleert hatte, sie ließ sie voll Meerwasser laufen und dann in die Tiefe schweben. Anschließend öffnete sie den zu Füßen des Toten liegenden Sack, er war tatsäc h lich mit Steinen gefüllt. Sie verspürte so etwas wie Tr i umph, als sie die Steine einzeln ins Meer schleuderte, sie plumpsten in die Tiefe, genau wie Linnea es einst als kleines Mädchen erlebt hatte. Den leeren Sack breitete sie über das Gesicht des toten Kauko Nyyssönen, nac h dem sie ihn zuvor auf den Rücken gelegt und ihm die Hände über der Brust gefaltet hatte. Zum Schluß legte sie die Schwimmweste an und schob das todbringende Ruder wieder in die Dolle. Nach dem Großreinemachen beschloß sie, eine weitere Büchse Bier zu trinken, sie hatte ja Zeit, und niemand beobachtete sie.
    Im Kommandeurssalon des russischen Minensuc h bootes »Stachanow« saß ein graubärtiger, ernster Mann mit strengen Zügen, der Korvettenkapitän Anastas Troitalew. Er war bereits sechzig, stand kurz vor der Pensionierung. Es war Nacht, die »Stachanow« lag mi t ten im Finnischen Meerbusen auf ihrem üblichen Beo b achtungsposten. Der Kapitän hockte allein im Salon, vor sich einen Becher kalten Tees und auf dem Fußboden neben dem Stuhlbein eine halbleere Flasche billigen Wodkas. Korvettenkapitän Troitalew war Trinker, ein alter, verbitterter Säufer. Tagsüber wagte er nicht einmal im eigenen Salon, zum Wodkaglas zu greifen. Die neuen abstinenten Winde im Land hatten ihre austrocknenden Böen bis aufs Meer geschickt. Dem Kapitän waren die Seitenblicke kleinlicher Parteimitglieder, wie etwa des Bootsmanns Kondarjewski, als Vorboten schriftlicher Meldungen wohl vertraut. Troitalew pflegte daher, nachts allein an seinem Tisch zu sitzen, von den Meeren ausgelaugt, mit roten Augen, den schweren, traurigen Kopf in die Hände gestützt.
    Nicht immer war Troitalew in diesen düsteren, trübs e ligen Gewässern gesegelt. Als jüngerer Mann war er eifrig in der Hierarchie der Krasnaja Flotta nach oben geklettert, er war Offizier in der Schwarzmeerflotte g e worden und hatte schließlich, in der Blüte seiner Män n lichkeit, das Kommando über den Stolz der Flotte, den Hubschrauberträger »Kirow«, bekommen. Anastas war Anfang der siebziger Jahre durch die Meerenge am Bosporus ins Mittelmeer gefahren, hatte die stolze, wie helles Blut gefärbte Fahne der Roten Flotte repräse n tiert. Unter seinem Kommando war die Flotte in den Indischen Ozean gedampft, wo er einen ernstzunehme n den, weltpolitischen Machtfaktor dargestellt hatte. Er hatte in seinem Salon Indira Gandhi mit bestem grus i nischen Sekt bewirtet, zu jenen

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