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Die Giftmeisterin

Titel: Die Giftmeisterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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am fränkischen Hof. Zwar konnte ich sein Gesicht nicht sehen, aber das war auch nicht nötig, denn Eugenius hatte die einzigartige Figur eines Schneemannes mit Beinen. Ich mochte ihn. Er hatte mich Lesen und Schreiben gelehrt und brachte mir gelegentlich - leider viel zu selten - die Abschriften griechischer Bücher zur Lektüre.
    Er hatte es offenbar eilig und ging in die andere Richtung davon, sonst hätte ich ihn gern in ein Gespräch verwickelt. Doch was hatte er hier überhaupt getan? Meine Neugier steigerte sich noch, als ich feststellte, dass die Hütte, aus der ich ihn hatte kommen sehen, Fionees Behausung war.
    Â 
    Bei allen Heiligen, dort sah es vielleicht aus! Die Hütte war eng und von rußgeschwärzten Balken durchzogen, an denen man sich den Kopf stieß, wenn man nicht aufpasste. Zahlreiche Steinketten hingen von der Decke herunter, und der Boden war von Schatullen übersät, manche von ihnen aus Kupfer, andere aus Holz, und wieder andere waren aus Materialien gefertigt, die mir unbekannt waren. Nichts davon schien mir kostbar zu sein, sonst hätte ich dieses Sammelsurium mit einer Räuberhöhle verglichen.
    Wie fast alle anderen Hütten armer Leute, so hatte auch diese nur ein einziges, mit Stroh zugestopftes Fenster, und das Tageslicht fiel lediglich durch die Rauchluke des Dachs, deswegen konnte ich nur raten, worin der Charakter dieser Hütte bestand. Was ich meine, ist, dass ich in den Hütten der anderen Aachener Armen rasch feststelle, womit die Leute ihr Geld verdienen. Gerber, Schmiede, Tuchmacher,
Brotbäcker, Fuhrleute, Stallknechte - sie alle haben einen bestimmten Geruch an sich, der sich im Laufe der Jahre auf alles Heimische überträgt, und meist finden sich Utensilien des Handwerks in der Hütte. Doch Steinketten und Schatullen... Womit verdiente Fionee ihr Geld? Ich roch Gewürze und Blüten und Weihrauch.
    Â»Das wollte ich Euch zeigen«, sagte sie, führte mich in einen Winkel und deutete auf den Boden. Ich bückte mich. Im düsteren Licht erkannte ich nicht sofort, worum es sich handelte. Dann griff ich danach und hob es auf.
    Â»Ein geschnitztes Tier«, sagte ich staunend. »Ein Dachs aus Holz.«
    Ich blickte zu Fionee hoch.
    Â»Da sind noch mehr«, sagte sie.
    Tatsächlich, ich zählte schließlich elf Tiere.
    Â»Dann ist er also dein Sohn?«, fragte ich.
    Â»Aber nein. Er ist nicht mein Sohn, ich kenne ihn kaum besser als Ihr.«
    Â»Dann verstehe ich es nicht.««
    Â»Liegt das nicht auf der Hand? Ich habe ihm die Tiere abgekauft, und zwar aus demselben Grund wie Ihr: um sein Lächeln zu sehen.««
    Ich richtete mich auf und blickte Fionee eine Weile an. Wir hatten etwas gemeinsam - das hatte sie sagen wollen, und ich stimmte ihr zu. Dieser Gedanke, einem Knaben auf dieselbe Weise und aus denselben Beweggründen heraus zu helfen, stellte eine Verbundenheit zwischen uns her, die ansonsten durch nichts gerechtfertigt war. Wir hatten erst ein paar Sätze miteinander gewechselt und waren in unserer Herkunft und Stellung grundsätzlich verschieden.
    Â»Die ersten Figuren habe ich ihm noch persönlich abgekauft«, sagte Fionee. »Dann spürte ich, dass er den Grund
meiner Käufe erkannte, und so schickte ich andere Leute vor. Im Gegensatz zu Euch habe ich mir die Figuren allerdings aushändigen lassen.« Sie machte eine Pause und fügte hinzu: »Als ich sah, dass Ihr den Jungen froh machen wollt, war mir klar, dass wir miteinander verwandt sind.«
    Ich machte wohl ein ziemlich erstauntes Gesicht, denn der Ausdruck »verwandt« ging mir ein bisschen zu weit. Fionee kicherte, wandte sich ab, setzte sich vor das Kohlefeuer und wärmte ihre Hände daran. Ich folgte ihr dorthin, blieb aber stehen.
    Â»Was machst du?«, fragte ich.
    Â»Ich wärme mir die Hände.«
    Â»Nein, ich meine, womit verdienst du dein Geld.««
    Â»Ich verkaufe seltene Gewürze an Ärzte, fertige ungewöhnlichen Schmuck, kreiere Düfte - aber das ist nicht das Wichtigste, das ich mache.««
    Â»Was ist das Wichtigste, das du machst?«
    Sie überlegte... Überlegte weiter... Es nahm kein Ende.
    Â»Was ist denn so schwierig an meiner Frage? Hat denn das, was du tust, keinen Namen?«
    Â»Immer mit der Ruhe. Ich versuche soeben, einen zu finden.««
    Â»Ich bin doch wohl nicht die Erste, die dich fragt, welcher Arbeit du nachgehst.«
    Â»Nein.

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