Die Giftmeisterin
Aber den anderen, die fragten, habe ich nicht antworten wollen.««
Sie sagte schon reichlich seltsame Dinge. Da sie offenbar nicht fähig oder willens war, mir eine Bezeichnung für das zu geben, was sie tagein, tagaus tat, wandte ich meine Aufmerksamkeit wieder der Hütte zu. Meine Augen hatten sich an die Düsternis gewöhnt und suchten nach Hinweisen, die Aufschluss über Fionees Dasein gaben. Ich sah Tücher,
Sackleinen, ein Netz, Schalen, Phiolen, zwei Felle, getrocknete Blumen... Diese Dinge passten schwer zusammen. Abgesehen von der ungewöhnlichen Menge verschiedener Gegenstände, war dies nichtsdestotrotz eine ärmliche Behausung ohne die geringste Bequemlichkeit. Die schwarzen Balken und die Decke waren mehr als nur ruÃgeschwärzt, sie waren regelrecht verkohlt, und tatsächlich fiel mir in diesem Moment ein, dass es im Sommer in einer Hütte in genau diesem Teil von Aachen gebrannt hatte.
»Ich bin erst nach dem Brand eingezogen«, sagte Fionee, die mich beobachtet hatte. »Vorher war ich in Trier und davor in Metz. Diese Hütte stand leer, als ich ankam, und sie kostete nichts, daher habe ich sie genommen.«
»Sie kann jeden Moment einstürzen«, wandte ich nicht ohne Besorgnis ein.
»Sie hält seit fünf Monaten stand. Es ist kaum denkbar, dass sie gerade jetzt einstürzt.«
Nachdem sie das gesagt hatte, kam mir ein unmöglicher, vielleicht sogar ketzerischer Gedanke. Was, wenn Fionee eine Heilige wäre? Eine künftige Heilige, selbstverständlich. Eine Art Nonne, bloà ohne Gelübde. Waren nicht fast alle heiligen Frauen Einzelgängerinnen gewesen, und hatten sie nicht fremdartige Kleider angezogen, und trugen sie nicht bisweilen merkwürdige Namen, und lebten sie nicht zumeist in bescheidensten Verhältnissen, und waren ihre Leben nicht eine Kette guter Taten? Die heilige Fionee - nun, das war doch immerhin möglich, oder nicht? Das würde auch erklären, wieso Fionee nicht recht wusste, welcher Arbeit sie nachging. Heilige - das ist schlieÃlich kein Handwerk.
Ich lächle, während ich diese Zeilen schreibe, zugleich bin ich unangenehm berührt. Ja, auf die eigenen Ungeschicklichkeiten
zurückzuschauen ist nur zur Hälfte amüsant, zur anderen peinlich.
Mein Gedanke hatte mich erschüttert, sodass ich mich kurz abstützen wollte, und der Kohlensack vor dem Feuer schien mir dafür gerade richtig. Erschrocken hob ich die Hände, als der Kohlensack sich bewegte und mich ansah. Es handelte sich um eine Greisin, die fast vollständig in einfache schwarze Kleidung gehüllt war, aus der nur das Gesicht weià hervorleuchtete. Sie hatte keine Zähne mehr und sah auch im Ãbrigen aus wie Methusalems Weib. Ihr Blick war schwer, so als würden ganze Jahrhunderte auf ihr lasten. Ich bat um Entschuldigung, aber sie schien mich nicht zu hören, so wenig wie ich sie hörte, deren Lippen sich bewegten, ohne dass ein Laut zu vernehmen war.
»Eure Mutter?«, fragte ich Fionee.
Sie antwortete: »Nein.« Und lieà es dabei bewenden. Plötzlich fiel ihr etwas ein, und sie griff nach einer der Steinketten, die über den Balken hingen. »Gefällt sie Euch?«
Die belanglosen Steine waren unzureichend geschliffen und an einer dürftigen Schnur aufgezogen worden - das Wort Schmuck wäre übertrieben gewesen. Aber die Kette erinnerte mich an eine Begebenheit in Burgund, als ich und eine Freundin vor mehr als dreiÃig Jahren zwei ähnliche einfache Ketten gefertigt hatten, die wir uns gegenseitig schenkten. Meine Kette hatte ich schon sehr lange nicht mehr; sie war verschüttet worden durch das, was wir Zeit nennen.
Ich lächelte.
Bevor ich etwas sagen konnte, sagte Fionee: »Sie kostet zwanzig Pfennige.« Sie schloss meine Hand um die Kette, und ich gab ihr das Geld. Eine Heilige schien sie wohl doch nicht zu sein.
Ich verabschiedete mich. »Ich fürchte, dass meine Zofe alle scheu macht, wenn sie feststellt, dass ich nicht in der Pfalz bin.««
Fionee brachte mich zur Tür.
»Glücklichmacherin«, sagte sie.
»Wie bitte?«
»Ich habe einen Namen gefunden für das, was ich tue. Ich bin eine Glücklichmacherin. Auf bald, Gräfin.«
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Was genau hatte man als Glücklichmacherin zu tun? Und wer war die Alte? Und was hatte Eugenius, der Legat des Papstes, bei der Alten zu suchen gehabt?
So viele Fragen auf einmal hatte
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