Die Giftmeisterin
Händen hielt. Teodrada vertraute mir zwar, aber nicht restlos, da ich sie im Stich gelassen hatte. Dieser Vorwurf stand unausgesprochen zwischen uns, und so sehr ich mich auch bemühte, die verlorene
Zeit aufzuholen, es gelang mir nicht. Sie fühlte sich abwechselnd von ihren Halbbrüdern, ihren Halbschwestern und den Bediensteten bedroht, wobei die Anschläge, vor denen sie sich fürchtete, auf höchst ungewöhnliche Weise ausgeführt werden sollten. Im letzten Sommer hatte Teodrada eines Tages von mir »auf ewig« Abschied genommen, weil sie überzeugt gewesen war, ihre Stiefmutter, Königin Liutgarde, hätte einen Zwerg als Mörder gedungen, der sich des Nachts unbemerkt ins Frauenhaus schleichen und sie in ihrem Zimmer erdolchen würde.
Und nun also Gersvind, Karls sächsische Konkubine. Gift im Badewasser.
Teodrada sagte: »Niemandem gönnt sie etwas, da kannst du fragen, wen du willst. Ihre Missgunst grenzt an Besessenheit. Und mich sieht sie als gröÃte Bedrohung für ihr blödes Töchterchen.«
Es hätte keinen Sinn gehabt, Teodrada darauf hinzuweisen, dass sie bei derart vielen Feinden, die seit fünf Jahren sie zu töten versuchten, gewiss nicht mehr leben würde. In ein paar Tagen würde der Spuk wieder vorbei sein, und da Teodrada ihre Befürchtungen nur mir anvertraute, entstand daraus niemandem Schaden.
Dieses Mal nutzte ich die Erwähnung des Todes für meine Zwecke. »Der Mord an dem armen Hugo hat dich verunsichert, liebe Teodrada, und das ist verständlich. Zwar hast du ihn kaum gekannt... Oder doch?«
»Ich habe ihn sehr wohl gekannt. Ich darf sagen, dass er mir gegenüber nicht an galanten Worten sparte.«
»Das hast du mir nie erzählt.«
»Du musst ja nicht alles wissen. Solche Dinge behält eine Frau für sich. Immer, wenn wir uns sahen...«
»Wie oft war das?«
»Zwei Mal in der Woche. Immer dann, wenn er kam, hat er mir ein Kompliment gemacht, jedes Mal ein anderes, und ich habe ihn eingelassen.««
»Du meinst - hier herein?«
»Selbstverständlich.««
»Aber Teodrada! Kein Mann auÃer deinem Vater und deinen Brüdern, darf dein Gemach betreten.«
»Das ist ja wohl meine Sache.«
»Da bin ich anderer Meinung. Es war auch Hugos Sache, und es ist die Sache deines Vaters geworden, denn er hat davon erfahren, was Hugo sehr geschadet hat.««
»Vater hat fast gar nichts gewusst, nur dass Hugo im Frauenhaus war. Mehr hat er nie herausbekommen.««
»Das hat genügt, um Hugo zurechtzuweisen.«
»Hugo war ein Ritter, der solch niedrigen Schimpf mühelos ertrug.«
»Es darf bezweifelt werden, dass die Rüge Hugo gleichgültig war, denn er fing an, zu viel zu trinken. Und ob der Titel >Ritter< seinen Charakter treffend beschreibt, sei dahingestellt. Immerhin hat er sich dir ungebührlich genähert.«
Sie holte tief Luft. »Das hat er nicht.«
»Erkläre mir das.«
Teodrada hielt inne. Ich erwartete, dass sie erröten oder verlegen zu Boden blicken würde, doch nichts dergleichen geschah. Ihr Gesicht bekam einen Ausdruck, den ich noch nie an ihr wahrgenommen hatte, den Ausdruck glücklicher Erinnerung.
Teodrada sagte leise: »Er hat gesungen.«
Beinahe hätte ich nachgefragt, ob ich Teodrada richtig verstanden hatte. Gesungen? Das Wort, diese Beschreibung einer Tätigkeit schien nicht hierherzugehören. Hugo war
doch nicht bei Dunkelheit in Teodradas Gemach gekommen, um zu singen!
»Dort, auf dieser Ruhebank lag er«, ergänzte Teodrada.
»Und sang?«
»So ist es.«
»Er sang die ganze Zeit über?«
»Wir haben auch gesprochen.««
»Sieh an.«
»Ja, von den Sternen, vom Wind, von den Wäldern, der Sonne und dem Mond... Und von edlen Gefühlen, natürlich.««
»Natürlich.««
»Und dann ist er wieder gegangen.«
Das war die unglaubwürdigste Geschichte, die ich je gehört hatte. Trotzdem durfte ich sie nicht völlig verwerfen, war sie doch zumindest ein erster Anhaltspunkt.
»Er wurde natürlich denunziert.««
»Nein, dein Vater hat Hugo dabei ertappt, wie er das Frauenhaus verlieÃ.«
»Ja, aber zuvor hat er einen Hinweis bekommen.««
»Hat er das gesagt?«
»Nein, aber das liegt auf der Hand. Sie war es.«
Nun ging das wieder los. Im Geiste schlug ich die Hände über dem Kopf
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