Die Giftmeisterin
begriff ich, was ich getan hatte, oder besser gesagt, dass ich etwas getan hatte. In diesen wenigen Augenblicken war ich eine andere Frau gewesen. Das war gut, befreiend. Es war aber auch beunruhigend. Emma machte mir Angst, und erstmals reagierte ich auf diese Angst. Wohin würde das noch führen?
Trotzdem überwog das Gefühl des Triumphs. Immer vorsichtig zu sein ist auf Dauer missvergnüglich und verkleinert den Charakter.
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Ich hatte also meinen Charakter um eine Facette erweitert: Wehrhaftigkeit. Darüber dachte ich den ganzen Nachmittag nach. Für den Abend nahm ich mir ein Gespräch mit Arnulf vor, genau genommen nahm ich mir zwei Gespräche vor, eines über Grifo und Gerlindis und eines über Emma. Ich wollte Arnulf nicht bedrängen, das hatte ich nie getan, doch ich verstand mich durchaus darauf, ihm gegenüber die richtigen Worte zu finden.
13
ALS ARNULF INS Haus kam, sah ich ihm sofort an, dass Emma ihm den Vorfall haarklein berichtet hatte. Das überraschte mich nicht, denn oft sah er bei Emma und seinem Töchterchen vorbei, bevor er nach Hause kam, und von Emma war nicht zu erwarten gewesen, dass sie schweigen würde. Arnulf sah jedoch keineswegs verärgert aus, auch damit hatte ich gerechnet. Mir einen Vorwurf zu machen, hätte für ihn bedeutet, sich gegen mich zu stellen, und das war undenkbar. An jenem Abend war ich mir meines Gemahls wieder sicher.
Arnulf war wie immer nach einem anstrengenden Tag von jener mäÃigen Liebenswürdigkeit, die müden Männern eigen ist. Er wärmte sich von allen Seiten am Feuer auf, rieb sich die Hände, freute sich auf die Mahlzeit und warf mir einen dankbaren Blick zu, als er hörte, dass ich die Köchin gebeten hatte, Fleisch auf den Teller zu bringen.
»Es ist das letzte Stück vom Reh«, sagte ich. »Wir brauchen neues Fleisch.««
»Keine Sorge, in Kürze gibt es eine königliche Jagd, wenn das Wetter hält.«
»Nimmst du daran teil?«
»Wir nehmen alle daran teil, auch die Damen sind eingeladen.«
So eine Jagd war immer eine willkommene Abwechslung, wenngleich beschwerlich, vor allem im Winter. Ich freute
mich darauf, mal wieder auf dem Rücken eines Pferdes zu sitzen, aber ich wusste auch, dass ich danach zwei Tage lang vor Erschöpfung nicht aus dem Haus gehen würde.
Wir nahmen an der Tafel Platz. »Hast du denn Zeit für die Jagd, Arnulf? Ich meine - wegen Grifo.«
Er lieà das Essen stehen, ergriff langsam meine Hand mit seinen Händen, küsste sie und sah mich zärtlich an. In solchen Momenten war es leicht, eine liebende Frau zu sein.
Arnulf sagte: »Du sorgst dich um Gerlindis, das verstehe ich, du bist ihre Tante. Sie sieht zu dir auf, erbittet deine Hilfe... wie könnte dein Herz da hart bleiben? Dass Gerlindis und Grifo dabei waren, sich näher kennenzulernen, ist unter den jetzigen Umständen eine Tragödie.«
»Ja«, sagte ich. Das Licht der Ãllampen, Arnulfs Zärtlichkeit - ich wünschte mir, es wäre immer so.
»Niemand möchte, dass Grifo der Täter ist«, fuhr Arnulf fort, »auch ich nicht. Ich habe nichts gegen ihn... Er sollte bald Burchards Nachfolger als neuer Hauptmann der Leibwache werden.««
»Ich dachte, Hugo.«
»Danach sah es im Sommer auch aus. Aber dann hat sich der König für Grifo statt für Hugo entschieden. Zu Weihnachten sollte es bekannt gemacht werden, hat Burchard mir erzählt, weil er nicht mehr an sich halten konnte. Burchard soll im nächsten Jahr Pfalzgraf von Metz werden.«
Das hieÃ, dass Bertas und meine Wege sich trennen würden, und so bedauerlich ich das fand, interessierte mich Grifo momentan mehr.
»Grifo ist unglaublich jung für diese Aufgabe«, sagte ich.
»Wenn einer knapp über zwanzig Jahre alt ist, bedeutet die Verleihung dieser Würde den Beginn einer steilen Karriere. Er wusste das, Hugo wusste das. Der ältere Bruder
war dem jüngeren unterlegen, ein Anlass für starke Rivalität. Grifo hat zugegeben, dass es zwischen Hugo und ihm vor einigen Tagen zu einer Auseinandersetzung kam, die von einigen Wachmannschaften mit angehört wurde. Ich vermute, in der Mordnacht verschärfte sich der Streit, und Grifo stieà in einem Moment der Erregtheit zu.««
Demnach der alte Zwist zwischen Kain und Abel? Warum nicht? Hugo hatte es gewiss als kränkend empfunden, dass man ihm, der seit Jahren
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