Die Giftmeisterin
kleine Hiltrud mit sich. Vielleicht würden sie durchhalten, wenn Fastrada ein anderer Mensch, eine andere Königin gewesen wäre, eine Frau wie ihre Vorgängerin Hildigard. Doch Fastrada war stets launisch und zänkisch und trieb die Hofdamen in gröÃte Verzweiflung. Sie mochte niemanden, deswegen mochte niemand sie. Nur zu ihren beiden Töchtern war sie gut.
Ich bleibe nicht wegen Fastrada, sondern Teodradas wegen. Das Kind wird in Kürze die Mutter verlieren und schrecklich weinen, und ich will nicht, dass dann irgendeine Dienerin sich ihrer annimmt.
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Königin Fastrada liegt im Sterben. Noch ist sie nicht tot. Die Glocke jedoch läutet bereits, als wäre sie ein Leichnam.
Es ist Reichstag in Frankfurt. Wenn ich aus dem Fenster der alten Merowingerburg blicke, in der wir untergebracht sind, sehe ich im Hof die Edlen sich versammeln. Sie kommen aus allen Pfalzen und Fürstentümern von Friaul bis Friesland, aus der Gascogne, der Provence, von der Seine, der Maas und der Donau; Rom sowie die christlichen Königreiche Galizien, Mercia und Wessex haben Gesandte geschickt; Karls erwachsene oder halbwüchsige Söhne, die er zu Unterkönigen gemacht hat, sind ebenfalls eingetroffen: Pippin aus Italien, Karl der Jüngere aus Westfranken, Ludwig aus Aquitanien. Es heiÃt, der König will ein einheitliches Handelsgewicht für das Reich beschlieÃen, und auch das Münzgewicht
soll reformiert werden. Aus einem Pfund Silber sollen künftig überall 240 Pfennige gepresst werden.
Es ist auch Synode in Frankfurt. Aus allen Bistümern sind sie gekommen, an die hundert Bischöfe des Reichs der Franken, um ein Zeichen zu setzen gegen die Kaiser und Patriarchen in Byzanz. Der König will beweisen, dass die Franken in Fragen des Glaubens ebenso gut mitreden können wie die Bevormunder aus dem Oströmischen Reich. Man verdammt die byzantinische Verehrung von Heiligenbildern. Und man hat eine eigene Meinung in der Frage der Bedeutung des Heiligen Geistes.
Auch das Heer sammelt sich in Frankfurt. Es lagert unten am Main, um schon bald zwischen Taunus und Rhön hindurch nach Norden zu marschieren, wo die Sachsen mal wieder im Aufstand sind. Es geschieht viel dieser Tage in Frankfurt. Man redet über Münzen, Heiligenbilder und die Sachsen. Ãber Fastrada hört man niemanden reden.
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Königin Fastrada liegt im Sterben. Noch ist sie nicht tot. Der König jedoch steht vor ihr wie vor einem Leichnam.
Als Hildigard starb, war er zutiefst erschüttert gewesen. Fastradas nahender Tod berührt ihn kaum. Sie war zu anstrengend gewesen, um ihr nachzutrauern. Er tut seine Pflicht, spricht ein Gebet, nickt den Nonnen höflich zu, tätschelt Teodradas Kopf, dann wendet er sich ab und will den Raum verlassen. Plötzlich geht er noch einmal zur schönen Fastrada zurück, die ihm elf Jahre lang mal leidenschaftliche, mal gallige Gefährtin war. Er beugt sich über sie, so als würde er sie küssen wollen, und richtet sich wieder auf.
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Königin Fastrada ist tot.
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Augenblicklich wirft sich Teodrada auf den Körper ihrer Mutter. Sie schreit erschütternd, ohrenbetäubend. Sie küsst den Mund der Toten, öffnet deren geschlossene Augen, ruft verzweifelte Botschaften in die Ohren, die nichts mehr hören können. Die Nonnen eilen herbei und versuchen, die Prinzessin von der Mutter zu trennen. Doch Teodradas kleine Arme klammern sich fest. Sie gehorcht nicht. Ihr Vater befiehlt ihr vergebens loszulassen.
Da gelingt es einer Nonne, sie von hinten an der Hüfte zu packen und hochzuheben, und als Teodrada das erkennt, schlägt sie aus und trifft die Nonne mit dem Ellbogen im Gesicht, woraufhin diese sie fallen lässt.
Erneut klammert Teodrada sich an dem leblosen Körper fest, aber nun schreitet ihr Vater ein. Gegen seine Kraft ist sie machtlos. Sie trommelt mit kleinen Fäusten auf seine Brust und auf seinen Kopf ein. Gewiss ist Karl seit einem halben Jahrhundert, als er noch ein kleiner Junge war, nicht mehr geschlagen worden. Kein furchterregender Sachse, kein Langobarde hat ihn je so angerührt, wie dieses kleine Mädchen es tut. Sie beleidigt ihn, sie nennt ihn einen bösen Mann.
Als er sie freigibt, rennt sie quer durch den Raum zu mir, presst sich an mich und wimmert. Ich streichle ihre Haare.
Der König und ich tauschen einen Blick. Ich führe Teodrada behutsam fort.
Sie hat ihre Mutter zum
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