Die Giftmeisterin
Fingerkuppen sind schwarz von der Kohle, die sie in das Glutbecken wirft.
»Warte, ich helfe dir«, sage ich.
»Lass das!«, keift sie. »Sonst hilft mir ja auch keiner, besser, ich gewöhn mich gar nicht erst daran.«
Auch ist sie nicht gesund. Ihr linkes Auge ist vom Lid fast vollständig verdeckt, und sie hat einen leicht krummen Rücken, der sich noch verschlimmern wird. Friedgard ist zwei Jahre jünger als ich, einundvierzig. Sie hat elf Kinder geboren, sieben davon haben bis heute überlebt.
»Bist du schwanger?«, frage ich.
»Man siehtâs schon, was?«
»Ja, ein wenig.«
»Ein wenig«, wiederholt sie in einem unnatürlichen Tonfall und spitzt dabei die Lippen: »Ein wenig, ein wenig.« Dann fährt sie in ihrem normalen Ton fort: »Du redest vielleicht daher... Hast dich verändert in den elf Jahren, die wir uns nicht gesehen haben. Hattest Glück mit deinem Mann, wie? Vom einfachen Waffenträger
zum groÃen Herrn. Gräfin bist jetzt. Und schon redest wie eine Gräfin.«
»Ich habe doch nur gesagt...«
»Ja, ja, schon gut, schon gut, reg dich nicht gleich auf. Verträgst halt nichts mehr. Lebst halt in einer Welt, die von meiner nichts weiÃ.«
Damit hat Friedgard recht - und liegt trotzdem falsch. Gewiss, ich lebe schon seit fünfundzwanzig Jahren in einer anderen Welt, seit Arnulf vom König in Quierzy zu seinem Gefolgsmann gemacht wurde. Ob man innerhalb dieses den König umgebenden Zirkels nun Gräfin oder keine Gräfin ist, ob man also weiter oben oder weiter unten an der Tafel sitzt, ist nebensächlich. Man sitzt an der Tafel, nur das zählt. Man verlernt, zu hungern, die Kälte zu fürchten und Angst vor Ãberfällen von Räubern zu haben, weil es in Karls Nähe immer zu essen und Brennholz gibt und vor Bewaffneten nur so wimmelt. Ich habe jedoch siebzehn Jahre lang in Friedgards Welt gelebt, und zwar unter dem Dach unseres gemeinsamen Elternhauses, und ich weià noch gut, wie das war. Friedgard allerdings hat noch nie einen Feldzug mitgemacht, noch nie fürchten müssen, dass Sachsen, Sarazenen, Langobarden, Awaren oder Bretonen sie als Kriegsbeute in ihre Dörfer verschleppen, um dort wer weià was mit ihr zu machen, und sie hat auch noch nie fürchten müssen, dass der Kopf ihres Mannes von Heiden abgeschlagen und auf einen Spieà gesteckt wird. Arnulf und ich haben in fünfundzwanzig Jahren Hofdienst dreiundzwanzig Feldzüge durchstanden, und es grenzt an ein Wunder, dass Arnulf noch sämtliche GliedmaÃen sowie seinen Kopf und seine Augen und
Ohren besitzt und ich angesichts der Strapazen noch nicht zugrunde gegangen bin.
»Wir haben beide unsere Probleme, du und ich«, sage ich.
»Dein Problem ist, welches Kleid du morgen trägst.«
»Keineswegs.«
»Na gut, dann eben, ob dein Mann zu dir in den Alkoven steigt und dich beglückt.«
Ohne es zu wissen, ist Friedgard recht nahe an die Wahrheit gekommen. Ich habe keine Lust, dieses Gespräch fortzusetzen.
»Wo ist dein Mann?«, frage ich.
»Oh, habe ich das nicht erwähnt? Er pflückt Gänseblümchen auf der Wiese hinter dem Haus.« Sie keift mich plötzlich an: »Er ist FlöÃer, du weiÃt sehr gut, dass er FlöÃer ist. Er bringt zwischen März und November Baumstämme auf dem Fluss an die Küste, da sehe ich ihn nie, hörst du, niemals, und von Dezember bis Februar geht er jeden Tag in den Wald, um sich Wieden, Stangen und Keile zu machen. Ich hatte weniger Glück mit meinem Mann, so, das wolltest du doch hören.«
Es scheint, dass alles, was ich sage und frage, feindselig aufgenommen wird.
»Ich habe nur deshalb nach deinem Mann gefragt, weil ich wissen wollte, ob du bei dem, was wir besprechen werden, auch in seinem Namen sprichst.«
Wieder ahmt sie mich nach. »Auch in seinem Namen, auch in seinem Namen, oh, ob ich wohl auch in seinem Namen...«
»Hör damit auf, Friedgard«, rufe ich laut. »Wenn dir nichts anderes einfällt, als mich zu verspotten, werde ich auf der Stelle abreisen.«
Ich habe mich dazu hinreiÃen lassen, unvorsichtig zu sein, denn ich habe bei einer Abreise weit mehr zu verlieren als meine Schwester. Aber ich habe unabsichtlich das Richtige getan, nämlich Friedgard einen gehörigen Schrecken einzujagen. Sie sieht ein, dass sie zu weit gegangen ist, und sie sieht ihre Felle
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