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Die Giftmeisterin

Titel: Die Giftmeisterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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nach oben.
    Zu spät rufe ich: »Nicht doch, Friedgard.«
    Â»Hab dich nicht so«, sagt Friedgard zu mir. »Meine
Kinder vertragen einiges, müssen sie auch, bei dem Vater.«
    Und bei der Mutter, denke ich. Aber ich verliere kein Wort darüber, und kein missbilligender Blick von mir soll meine Schwester erzürnen, jetzt, wo ich so nah am Ziel bin. Sie hätte mir ohnehin nur vorgeworfen, leicht reden zu haben als kinderlose Gräfin und Dame am Königshof.
    Â»Was ist denn?«, fragt sie ungeduldig. »Wir können es uns nicht leisten, den ganzen Tag faul herumzustehen, wie ihr da in Aachen. Willst du nun eine, oder nicht?«
    Â»Friedgard! Nicht vor den Kindern.«
    Â»Verschwindet«, ruft sie. »Und dass mir jede von euch nachher eine ganze Tasche voll mitbringt.« Als die Kinder fort sind, erklärt sie: »Ich lasse sie Ährenkorn sammeln, das vom Bauern bei der Mahd verloren wurde. Ergibt ein ganzes Brot.«
    Â»Verstehe.«
    Â»Also, was ist?«
    Ich habe plötzlich schreckliche Angst, dass meine Schwester mich hinters Licht führt, indem sie einen Namen aus mir herauslockt und mich dann vor den Kopf stößt. Wir haben uns als Kinder schon nicht besonders gemocht, und daran hat sich nichts geändert.
    Â»Fünfhundert Pfennige«, sage ich, und bringe sie damit, so wie von mir beabsichtigt, aus der Fassung.
    Friedgard krächzt: »Fünfhundert? Für - Gerlindis?«
    Ich nicke. Mein Herz pocht rasend schnell. Für mich kommt nur Gerlindis in Betracht. Den drei Älteren ist nicht mehr zu helfen, sie sind bereits geprägt, und die Zwillinge möchte ich nicht auseinanderreißen. In Gerlindis meine ich etwas zu erkennen, das auch mir in ihrem
Alter eigen war: eine gewisse Offenheit für die Welt und die Bereitschaft, geformt zu werden.
    Friedgard fragt: »Hast du es - dabei?«
    Â»ja.«
    Â»Na schön, dann nimm sie.«
    Ich komme mir schäbig vor, ein Kind zu kaufen, auch wenn ich glaube, dass es zum Besten des Kindes ist.
    Â»Bist du sicher?«, frage ich.
    Â»Eine Esserin weniger. Und ich muss ihr nichts in die Ehe mitgeben.«
    Â»Und was wird dein Mann sagen?«
    Sie lacht auf. »Falls es ihm überhaupt auffällt, dass eine Göre fehlt, zeige ich ihm den Mantel, den kann er verhökern, und er wird sehr zufrieden sein.«
    Â 
    Orleans ist außer Sichtweite. Ich weiß, dass ich von Friedgard zugleich beneidet und verachtet werde - eine Kombination von Gefühlen, die häufiger vorkommt, als man denkt. Mit Gerlindis an meiner Seite macht mir das nichts aus. Wir mögen uns, schon am zweiten Tag der Rückreise reden wir wie Freundinnen miteinander. Sie ist das Kind, das Gott mir vorenthalten hat, sie ersetzt die Gestorbenen, und sie ersetzt Teodrada, die mir auf königlichen Befehl nicht so nah sein durfte, wie ich es gerne gehabt hätte.
    Obwohl ich Gerlindis ein Dutzendmal angeboten habe, dass sie auf Arnulfs Boten zurückgreifen darf, falls sie ihren Eltern über den Geistlichen von Orléans eine Botschaft zukommen lassen möchte, hat sie nie davon Gebrauch gemacht. Der Trotz, den sie von Friedgard geerbt hat, ist ihre einzige Eigenschaft, die ich nicht mag.

21
    DIE TREIBER BEGANNEN im grauen Licht der auf die Wipfel gekletterten Wintersonne ihre Arbeit und drangen ins Dickicht der Wälder ein. Dreißig, vierzig Pferde und ihre männlichen und weiblichen Reiter standen auf einem Feld versammelt. Die Männer scherzten, zogen sich gegenseitig auf, und die Damen sahen ihnen dabei zu, wie sie nach einer Weile im silbrigen, eiskalten Nebel verschwanden. Ohne Ziel trabten wir auf unseren Pferden über das weite Feld, Königin Liutgarde hinterher, die sich mal mit dieser, mal mit jener von uns unterhielt. Zwischendurch lauschten wir den fernen Rufen der Jäger, die sich zu wildem Gebrüll steigerten, das der friedlichen Flur etwas Gefahrvolles verlieh. Doch der Zustand tiefer Zufriedenheit, in dem ich mich seit Arnulfs liebevollem Schmunzeln befand, hielt jede Unruhe von mir fern. Ein in der Ferne galoppierender Reiter zerteilte den nebligen Schleier des Tals. Die Welt war schön. Wie gerne hätte ich das an Ort und Stelle jemandem gesagt. Leider waren all jene, die ich in der Vergangenheit nicht in meine Nöte eingeweiht hatte, genauso wenig dazu zu gebrauchen, an meinem Glück teilzuhaben. Berta war eine zu bekümmerte Frau, um sie zusätzlich zu

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