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Die Giftmeisterin

Titel: Die Giftmeisterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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den Fall zu Ende bringen und vom König belobigt werden. Und eine Ehe von Gerlindis und Grifo wäre abgewandt. Einem Mörder, der auf dem Block endete, würde Gerlindis gewiss nicht lange nachtrauern. Ich hatte mich überhaupt nur ihretwegen engagiert, mit dem Ziel, entweder Grifos Unschuld oder seine Schuld zu beweisen, und dieses Ziel war nun erreicht.
    Ich hörte laute Geräusche, Hufgeklapper. Sollte die Jagd etwa schon beendet sein? Normalerweise dauerte sie bis weit in den Nachmittag hinein, und nun war es gerade einmal Mittag.
    Auf keinen Fall wollte ich Gerold begegnen, und Grifo schon dreimal nicht. Wer konnte wissen, wie er reagierte, wenn er mich in seinem Quartier fand. Er war nicht dumm. Er hatte die Pfeilspitze erkannt und wusste seither, dass ich etwas wusste.
    Ein Gedanke schlug wie ein Blitz bei mir ein: Was, wenn
Grifo heimlich die Jagdgesellschaft verlassen hatte? Er musste nur im Dickicht des Waldes verschwinden, unter dem Vorwand, ein Wildschwein zu jagen, dann eilig in die Pfalz reiten...
    Die Wache am Tor würde ihn erkennen, beruhigte ich mich.
    Würde die Wache ihn auch erkennen, wenn er die Kapuze des Mantels über den Kopf zog? Er trug die Uniform eines Kriegers des Königs, es wäre nicht nötig, dass man sein Gesicht sähe, außerdem stand das Tor offen.
    Ich verließ Grifos Quartier und eilte den Gang entlang, als ich Schritte hörte, die sich mir rasch näherten. Es würde mir nicht gelingen, den Seitenflügel zu verlassen, bevor Grifo ihn betreten würde.
    Was tun?
    Ich betrat Hugos Quartier und schloss die Tür hinter mir. Es wusste ja keiner, dass ich hier war, auch Grifo nicht, und warum sollte jemand das Quartier eines Toten betreten?
    Ich fühlte mich einigermaßen sicher - für die Dauer von zwei, drei Atemzügen. Dann kamen die Schritte näher und näher, und ich konnte es kaum fassen, als sich die Tür öffnete. Jene Tür, hinter der ich mich verbarg.
    Jemand betrat Hugos Quartier.
    Ich hörte leise Geräusche, ohne zu erkennen, was vor sich ging. Noch verdeckte die Tür mich, doch sie fiel langsam zu. Ich hielt sie an ihrem Knauf fest, durfte aber nicht versäumen, den Knauf in genau dem Moment loszulassen, wenn der Unbekannte die Tür wieder schließen wollte.
    Es war so weit. Ich machte alles richtig.
    Aber dann, im Hinausgehen, hielt der Unbekannte inne, und ich konnte durch das Holz, das uns trennte, spüren, wie er meine Anwesenheit bemerkte.

    Er sah mich.
    Ich sah ihn.
    Â 
    Es ist still.
    So still wie in jenem Augenblick in Grifos Quartier.
    Es ist Nacht.
    Ich warte noch immer.
    Worauf?
    Auf das, was mir bevorsteht - den Tod, das Leben, wie soll ich das wissen? Ich weiß nichts. Beides hätte seine Vorzüge, beides seine Mängel.
    Ich weiß nichts.
    Irgendwo passiert etwas, während ich hier sitze und schreibe, und ich bin nicht dabei. Je nachdem, was passiert, werde ich leben oder sterben.
    Ich habe keinen Einfluss darauf.
    Â 
    So ist es doch mit vielen Dingen, nicht wahr? Da Gott in allem ist und Gott alles lenkt, sind uns Menschen die Hände gebunden. Sagt man. Habe auch ich stets gesagt als Wiederholung dessen, was die Priester sagten.
    Aber nun, da ich hier in der Dunkelheit sitze, der Finsternis des Gemachs und meines inneren Raumes, den man Seele nennt, und über mein und anderer Leute Verbrechen schreibe, ist mir die Hemmung abhandengekommen, meinen Gedanken freien Lauf zu lassen.
    Wir sind hineingeworfen worden in diese Welt, sind unserer Eltern Untertan, einer ganzen Welt sind wir Untertan, und auch unserem Charakter. Ich glaube tatsächlich, nein, ich bin davon überzeugt, dass wir auf die Prägung unseres Charakters einen beschränkten Einfluss haben - von Gott möchte ich im Moment sowieso nicht mehr sprechen
! Ich habe zu viel gesehen. Ich habe gesehen, wie die Gewalt sich fortsetzt, neue Gewalt gebiert, Hass entsteht, der sich irgendwo und zu irgendeiner Zeit Bahn bricht. Ich habe in die hasserfüllten Augen sächsischer Kinder geblickt, die neben den Leichen ihrer zerhackten Väter standen, ich habe maßlose Trauer und Verwirrung gesehen und auch den Keim von Wahnsinn. Was darf man von solchen Kindern erwarten? Aber ich habe auch gesehen, wie Liebe sich fortsetzt und wie - viel wichtiger noch - die Achtung, die man anderen entgegenbringt, sich spiegelt und auf einen selbst zurückfällt. Wir alle sind Kinder der Verhältnisse, in denen

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