Die Giftmeisterin
dass der Papst schon übermorgen eintrifft, und damit natürlich auch Burchard.«
»Oh«, sagte sie, doch wohnte diesem Laut keine Freude inne.
Ich schalt mich selbst. Wie konnte ich nur glauben, dass Burchards Rückkehr Berta froh machen würde, wusste ich doch besser als sie, wie sehr sie unter ihm litt. Berta hätte
nie zugegeben, dass sie Burchards Abwesenheit insgeheim genoss. Seit der Abreise ihres Gemahls war sie von Tag zu Tag etwas unbekümmerter geworden. Neuerdings scherzte sie sogar dann und wann.
Erst im zweiten Anlauf gelang ihr die Verstellung. »Wunderbar. Burchard kommt zurück. Ich werde etwas zu essen bereiten, das er mag.«
»Vermutlich wird man ein Bankett zu Ehren von Leo III. veranstalten.«
»Ja, richtig, das habe ich nicht bedacht. Sie blickte ein wenig orientierungslos um sich. »Gut, ja, also dann... Wenn du mich nicht mehr brauchst... Der Vormittag war anstrengend, ich bin solche Ausritte nicht mehr gewöhnt. Künftig werde ich sie mir ersparen. Ich werde einfach zu alt für so etwas. Du kommst zurecht, Ermengard?«
»Gewiss. Danke nochmals. Du bist eine Seele.«
Sie lächelte mich an, doch es war ein trauriges Lächeln, das mich härter traf als jede ihrer Kummermienen. Noch einmal schalt ich mich, und diesmal laut, nachdem Berta gegangen war.
25
ICH VERZICHTETE AUF das warme Bad, das ich eigentlich hatte nehmen wollen, und beschloss, die Frage nach der Bedeutung der Pfeilspitze ein für alle Mal zu klären, um noch heute Abend Arnulf einzuweihen und ihm alles, was ich erfahren hatte, mitzuteilen. Die Sache drängte. Ich hatte mit meinen eigenen Problemen genug zu tun. Sollte es sich bei der Pfeilspitze um Grifos Glücksbringer handeln, war dies ein starkes Argument gegen ihn, das auch ich nicht auÃer Acht lassen durfte. Gerlindisâ Kummer und eine gewisse Lust an den Nachforschungen hatten mich Dinge tun lassen, die mir eigentlich nicht anstanden. Nun wuchsen sie mir über den Kopf.
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Den Königsturm betrat ich sonst nur, wenn Liutgarde nach mir schickte, und das kam nicht oft vor. Die königliche Familie war in den oberen Stockwerken des Turms ungestört, und Karl liebt es, wenn seine Kinder aus Ehen und Konkubinaten dort miteinander spielen, Wolle spinnen, musizieren, ihm etwas vorlesen und dergleichen. Im Sommer hat man von ganz oben eine herrliche Aussicht auf das wellige Land, die Hecken und Kornfelder, die alten, sattgrünen Wälder und natürlich auf Aachen, das sich ständig vergröÃernde Holzhüttendorf. Noch ist es weit davon entfernt, eine Stadt, geschweige denn ein zweites Rom zu werden, doch wenn ich Karls glänzende Augen beim Anblick
Aachens richtig deute, so meine ich, dass er nicht weniger als das vorhat: ein zweites Rom, nördlich der Alpen, zwischen Rhein und Maas, genau auf der Kante von Ostfranken und Westfranken. Die Stadt selbst ist dabei unwichtiger als ihre Lage. Wenn nicht Aachen, so müsste es eine andere Stadt sein, eine Stadt im Herzen Europas als symbolisches Zentrum der Einheit. Toul, Trier, Worms und StraÃburg fallen mir ein. Ich hoffe, Karls Nachfolger werden dem eingedenk sein.
Doch ich schweife ab.
Die Quartiere Gerolds und seiner Söhne grenzten an den Königsturm an und waren nur erreichbar, wenn man den Turm betrat und sogleich eine Seitentür im Erdgeschoss benutzte - ein Zustand, der mit den Bauarbeiten zu tun hatte wie auch mit der Tatsache, dass Gerold als königlichem Seneschall eine räumliche Nähe zu Karl schon durch sein Amt auferlegt war. Ich war noch nie durch die Seitentür gegangen, wozu auch? Nicht nur war es mir als Dame verwehrt, Gebäudeflügel oder gar Quartiere zu betreten, die nicht von anderen Damen bewohnt wurden, sondern ich hatte mit Gerold, Hugo und Grifo bisher wenig zu tun gehabt.
Da sich der Hof samt Knappen auf der Jagd befand, war es erwartungsgemäà still in dem Seitenflügel, ich musste also keine Störung befürchten. Ein weiterer glücklicher Umstand kam meinem Vorhaben zugute: Es waren nur drei Türen in dem Flügel, sodass es nicht schwierig sein würde, Grifos Quartier zu finden. Die drei Quartiere befanden sich hintereinander auf der rechten Seite eines breiten Gangs, und um mein Glück perfekt zu machen, stellte sich heraus, dass keine der Türen verschlossen war, obwohl sie über groÃe Riegelschlösser verfügten.
Hinter der ersten Tür lag ein
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