Die Gilde der Diebe
gesamte Umgebung erleuchtete. An jeder Ecke sprachen Frauen aufgeregt miteinander, aber die feierliche Stimmung wurde von einem unterschwelligen Gefühl von Hinterlist getrübt. Manche begrüßten alte Bekannte mit gespielter Fröhlichkeit, bevor sie sich abwandten und ihren Freundinnen ins Ohr tuschelten, andere erwiderten freundliche Annäherungsversuche mit einem kühlen Blick, wieder andere schwebten in hochmütiger Einsamkeit vorbei.
»In Ordnung. Wohin jetzt?«, flüsterte Raquella, während sie sich durch den Strom der Frauen schlängelten.
»Wenn ich mich nicht irre, ist drei Häuser weiter von hier ein Laden namens ›Kaminplatte‹. Die kennen mich. Dort sind wir in Sicherheit.«
»STOPP!«
Das Geschnatter und der Lärm verstummten und die gesamte Straße hielt inne. Als er die herrische Stimme vernahm, murmelte Carnegie einen besonders unfeinen Fluch vor sich hin.
Jonathan lugte unter seiner Kapuze hervor und beobachtete, wie sich die Menge teilte und den Blick auf die Frau freigab, die sie angesprochen hatte. Sie war über einen Meter achtzig groß, hatte dunkelbraune Haut und extrem kurzes schwarzes Haar. Im Gegensatz zu den anderen Frauen, die im Diamantengarten umherstolzierten, trug sie eine einfache silberne Weste und eine Hose. Ein dazu passender einzelner Diamant funkelte an ihrem linken Ohr. Trotzdem war Jonathanwie hypnotisiert, als sie auf sie zustürmte. Die Frau war unglaublich schön.
Sie kam nicht allein. Sie war von ungefähr zwanzig bewaffneten Frauen umringt, die die gleichen wallenden roten Gewänder trugen wie das Mädchen auf der Landungsbrücke. Auf einen Fingerzeig von ihr hin umstellten sie die drei Eindringlinge.
»Du bist Vendettas Dienstmädchen«, sagte sie milde. Es war eine Feststellung und keine Frage. »Ich erkenne dich wieder.«
»Ich fühle mich geehrt, Herz-Königin. Mein Meister hat mich beauftragt, in seinem Namen ein paar Steine zu verkaufen.«
»Natürlich. Ganz Darkside weiß von deiner Redlichkeit gegenüber Vendetta. Aber wer sind deine Begleiter?«
»Neue Dienerinnen«, erwiderte Raquella schnell. »Er war der Meinung, dass es das Beste wäre, wenn ich ihnen den Garten zeige.«
Die Herz-Königin beäugte Jonathan verächtlich, der seinen Kopf tiefer unter seine Kapuze zog. »So wie es aussieht, ist das Urteil deines Meisters auch nicht mehr das, was es mal war.«
Ihre Augen verengten sich. Als sie wieder sprach, schnalzte ihre Stimme wie eine Peitsche über Jonathans Gesicht.
»Nimm deine Kapuze ab. Sofort.«
8
Jonathan erstarrte. Um sie herum schloss sich der Kreis der Wachen. Es war eine blendende und tödliche Ansammlung von Juwelen und Dolchen, Ringen und Schwertern. Selbst mit Carnegie an ihrer Seite würden sie es nicht schaffen, sich den Weg freizukämpfen. Wenn sie ihre Kapuzen abnahmen, waren sie so gut wie tot.
»Ich habe dir einen Befehl erteilt«, sagte die Herz-Königin, so eiskalt und schön wie der Diamant an ihrem Ohr. »Ich bin es nicht gewohnt, dass man mich warten lässt.«
»Bitte vergeben Sie meiner Cousine«, mischte sich Raquella mit zunehmender Verzweiflung in der Stimme ein. »Sie ist taub und stumm. Sie kann Sie nicht hören.«
Die Herz-Königin sah sie misstrauisch an.
»Wie bemüht du doch bist. Warum bist du nicht ein braves Mädchen und nimmst ihr die Kapuze ab?«
»Es reicht.«
Carnegie trat in die Mitte des Kreises. Der Wermensch warf seine Kapuze zurück und offenbarte im Schein der Gaslaternen seine kantigen Gesichtszüge. Inder umstehenden Menge wurden schockierte und verängstigte Rufe laut. Der Anblick eines Mannes war das größte Tabu im Diamantengarten.
»Lass uns diese Charade beenden«, knurrte er. »Du weißt ganz genau, wer wir sind.«
Die Herz-Königin erwiderte seinen Blick ungerührt.
»Ich weiß, dass du keine Frau bist. Dachtest du wirklich, du könntest hier herumschleichen, ohne entdeckt zu werden, Wolfmann? Du weißt, dass kein Mann den Garten betreten darf, solange ich hier das Sagen habe. War ein Umhang ausreichend? Du kannst die letzten Sekunden deines Lebens damit verbringen, darüber nachzudenken. Wachen, bringt sie in meine Gemächer.«
Jonathan spürte, wie sich die Spitze eines Dolches in seinen Rücken bohrte und etliche Paar Hände ihn packten. Seine Kapuze wurde ihm vom Kopf gezogen und abermals ging ein Raunen durch die Menge. Er erwartete, einen wilden Aufschrei und das Geräusch eines um sich schlagenden Carnegies zu hören, aber zu seiner Verwunderung ließ sich der
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