Die Gilde der Diebe
Wermensch in aller Ruhe von den Wachen abführen. Raquellas Gesicht hingegen nahm eine gräuliche Färbung an. Es schien, als würde sie die gleiche Strafe erwarten wie ihre männlichen Begleiter.
Die Prozession bewegte sich mit angespanntem Schweigen über die glitzernde Promenade. Während sie die Straße entlanggestoßen wurden, teilte sich die verängstigte Menge vor ihnen, als hätten die Eindringlinge eine ansteckende Krankheit. Jonathan ärgertesich zu sehr über sich selbst, um Angst zu haben. Er war gescheitert, bevor er überhaupt richtig losgelegt hatte. Was würde nun mit Miss Elwood geschehen? Wie würde es Alain verkraften, wenn er nach seiner Frau auch noch seinen Sohn verlor? Und was war mit Theresa? War sie immer noch irgendwo da draußen in Darkside und wartete vergeblich darauf, dass Jonathan sie fand? Würde sie überhaupt erfahren, dass er es versucht hatte?
Am Ende der Promenade mündete die Reihe der Juwelierläden in einer nackten Felswand. Neben der Straße lag ein gestrandetes Schiff. Es war ein ramponiertes, heruntergekommenes Gefährt, das mit Seepocken überzogen war und dessen Farbe abblätterte. Am Bug prangte der Name »Silberling«. Die Herz-Königin kletterte leichtfüßig eine Strickleiter hinauf, die an der Seite herabhing, und verschwand in der Kajüte.
»Wohnt sie hier ?«, fragte Jonathan überrascht. Zur Belohnung wurde er von einer der Wachen mit dem Dolch gepikst.
»Aua!«
»Etwas mehr Respekt, wenn du von der Herz-Königin sprichst«, zischte ihm eine junge, weibliche Stimme ins Ohr. »Sie braucht keinen Luxus und sonstigen Schnickschnack. Und jetzt klettere da rauf.«
Sie schob Jonathan in Richtung des Schiffs. Er spürte den Dolch im Rücken und zog sich widerwillig die Leiter hoch. Die Wächter blieben unten stehen. Aber das machte keinen Unterschied, schließlich gab es ohnehinkeine Fluchtmöglichkeit. Er zog den Kopf ein und betrat die Kabine. Carnegie und Raquella folgten ihm dicht auf den Fersen.
Innen war die »Silberling« genauso schmuddelig und heruntergekommen wie außen. Der Boden krängte deutlich zur Seite und die durchhängenden Holzplanken ächzten unter Jonathans Füßen. An den Wänden hingen zahlreiche Karten und Waffen. Die Herz-Königin stand mit verschränkten Armen neben einem Tisch am Fenster und blickte auf das Wasser hinaus. Als Carnegie die Kajüte betrat, stürzte sie auf ihn zu und rammte ihm das Knie zwischen die Beine.
Der Wermensch sank ächzend auf die Knie und Jonathan zuckte mitfühlend zusammen. Da er erwartete, dass der Wermensch zurückschlagen würde, war er völlig überrascht, als Carnegie gequält auflachte.
»Ich hatte schon befürchtet, du hättest mich nicht vermisst, Martha«, keuchte er.
»Sei still«, erwiderte die Herz-Königin kühl. »Dein Leben hängt an einem seidenen Faden.«
Sie lief in der Kajüte auf und ab und warf Carnegie böse Blicke zu.
»Nur um sicherzugehen, dass ich das richtig verstehe: Du verschaffst dir unbefugt Zutritt zu meinem Territorium, brichst so ziemlich alle Regeln des Gartens, versuchst, deine Gegenwart mit dieser lächerlichen Verkleidung geheim zu halten …«
»Nicht zum ersten Mal«, unterbrach sie Carnegie sanft.
Die Herz-Königin schnaubte.
»Das ist lange her. Du hast uns etliche Jahre nicht mit deiner Anwesenheit beehrt.«
Carnegie breitete die Arme aus.
»Ich war beschäftigt, Martha. Hör zu, ich kenne die Regeln vom ›Diamantengarten‹ besser als jeder andere. Ich wäre nicht hergekommen, wenn ich nicht einen sehr guten Grund hätte.«
»Und der wäre? Noch mehr Spielschulden? Bist du wieder pleite?«
»Wenn die Sache nur so einfach wäre. Ich versuche, dem Jungen hier zu helfen. Er hatte einen Zusammenstoß mit Vendetta. Bis zum Ende der Woche muss er ein bestimmtes Juwel in seine Finger kriegen, sonst wird es jemandem schlecht ergehen. Wir brauchen Informationen, deshalb sind wir gekommen.«
Die Herz-Königin hob eine Augenbraue.
»Seit wann interessierst du dich für jemand anderen als dich selbst?«
Carnegie zuckte zusammen.
»Weißt du, ich bin nicht durch und durch egoistisch«, erwiderte er und klang dabei ein wenig verletzt. »Und der Junge und ich hängen da zusammen drin, ob mir das passt oder nicht. Wir müssen dieses Juwel kriegen.«
»Und über welchen Stein sprechen wir genau?«
»Den Purpur-Stein!«, platzte Jonathan heraus.
Eine Sekunde lang sah die Herz-Königin erschrocken aus, dann brach sie in helles Gelächter aus.
»Was soll das?«,
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