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Die Gilde der Diebe

Titel: Die Gilde der Diebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Becker
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vorsichtig über den Müll und die toten Ratten zu steigen. Er war ziemlich erleichtert, als er im Erdgeschoss eine zerbrochene Fensterscheibe entdeckte.
    »Lass mich das machen«, flüsterte Raquella. »Ich habe schmalere Hände als du.«
    Sie krempelte ihren Ärmel hoch und steckte ihre Hand durch das zerklüftete Loch in der Scheibe. Langsam und vorsichtig griff sie nach dem Hebel auf der Innenseite des Fensters, drehte ihn und zog ihre Hand wieder zurück. Dann lächelte Raquella und stieß das Fenster auf.
    »Ich sollte aufhören, so viel Zeit mit Dieben zu verbringen«, flüsterte sie. »Das verdirbt den Charakter.«
    Sie kletterte zum Fenster hoch und ließ sich langsam auf der anderen Seite hinuntergleiten. Jonathan folgte ihr, stöhnte, als er sein Bein anwinkeln musste, und fand sich in einer der düsteren Garderoben des »Kinski« wieder. Im Gegensatz zu Mountebanks vollgestopftem Raum war dieser bis auf einen Schminktisch und einige Tierkäfige vollkommen leer. Während Raquella denSchminktisch inspizierte, stützte sich Jonathan auf einen der Käfige und sprang erschrocken zur Seite, als eine große Ratte nach seinem Finger schnappte.
    »Iih«, flüsterte er und schüttelte sich. »Die Nummer möchte ich aber nicht sehen. Ich hasse Ratten.«
    »Ähm, Jonathan?«, sagte Raquella mit einem seltsam angespannten Tonfall.
    »Was ist los?«
    »Ich glaube nicht, dass die Ratten es bis auf die Bühne schaffen.«
    Raquella hielt mit blassem Gesicht ein Poster hoch, auf dem Susi Seltsam – Meisterin der Schlangen! stand. Die junge Frau auf dem Bild trug ein leuchtend violettes Kostüm und lächelte trotz der Schlangen, die sich um ihre Arme und Beine schlängelten.
    Sie hörten ein zischendes Geräusch in der Dunkelheit.
    Jonathan unterdrückte einen Schrei und suchte mit zitternden Beinen den Boden ab. Unter dem Fenster bewegte sich etwas, Schuppen blitzten auf und er sah eine lange Silhouette langsam auf sich zukriechen. Raquella sprang auf den Schminktisch und bedeutete ihm panisch, ihr zu folgen, doch Jonathans Füße fühlten sich an wie festgeklebt. Er war wie hypnotisiert von der Schlange, die mit ihrer flinken Zunge und den kleinen, grausamen Augen langsam auf ihn zuglitt.
    »Die Käfige!«, kreischte Raquella mit weit aufgerissenen Augen. »Mach die Käfige auf!«
    Jonathan drehte sich um und versuchte mit zitternden Fingern, die Käfigtüren zu öffnen, während er hintersich das sanfte Schleifgeräusch der Schlange auf dem Boden hörte. Gerade in dem Moment, als er die Käfigtür öffnete, schnellte die Ratte vor und versuchte, ihn in den Finger zu beißen. Jonathan zog hastig die Hand zurück und warf den Käfig zu Boden. Die Ratte flog durch die offene Tür quer über den Boden in die andere Ecke des Zimmers.
    Die Schlange hielt inne, wog die neue Situation ab und bedachte Jonathan mit einem letzten feindseligen Blick, bevor sie sich entschloss, der Ratte zu folgen. Sie warteten, bis die Schlange den Nager in die Ecke gedrängt hatte, und flüchteten aus dem Raum. Jonathan knallte die Tür zu und lehnte sich dagegen.
    »Das … war … ziemlich … knapp.«
    Sie rannten weiter, um so weit wie möglich von der Schlange fortzukommen. Schon bald wurde der Korridor breiter und führte leicht aufwärts, bis er schließlich in den großen Zuschauerraum mündete. Die Halle war verlassen und die leeren Sitzreihen beobachteten stumm die Bühne. Die gemalten Clowns an der Decke rangen und kämpften miteinander, ohne ein Publikum, das sie anfeuerte. Jonathan wollte gerade durch den Zuschauerraum zur Hinterbühne gehen, als er ein lautes, kratzendes Geräusch vernahm. Er duckte sich hinter einer Sitzreihe und sah im Schein des Bühnenlichts einen jungen Kerl, der eine Kiste über die Bühne schleifte.
    Raquella atmete erleichtert auf und marschierte an Jonathan vorbei in den Gang hinaus.
    »Sam!«, rief sie ihm fröhlich zu.
    Der Junge schaute erschrocken auf. Er spähte in den Zuschauerraum und erblickte schließlich das Dienstmädchen.
    »Oh, hallo, Miss Joubert«, rief er zögerlich. »Was machen Sie hier? Das Theater öffnet erst in ein paar Stunden. Ich bin allein.«
    »Bin ich zu früh dran? Die Hintertür war offen«, log Raquella munter. »Mir hat Mountebanks Vorstellung so gut gefallen, dass ich sie noch einmal sehen wollte. Er tritt doch heute Abend auf, oder?«
    Als sie den Namen des Magiers erwähnte, versteifte sich Sam.
    »Ich fürchte, nein, Miss. Mister Mountebanks Vertrag wurde vor ein paar

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