Die Gilden von Morenia 03 - Die Wanderjahre der Glasmalerin
Verletzungen gezeichnet waren. Sie schluckte schwer, überrascht von den Erinnerungen, die sie überschwemmten, den stolzen Erinnerungen an ihre zu kurze Zeit in der Gilde, die sie geliebt hatte. Sie verdrängte den Schmerz, der in ihrer Brust aufwallte.
Sie wechselte das Messer in die rechte Hand, setzte die Spitze auf dem durchsichtigen Glas auf. Sie wollte das Messer hindurchziehen, mit aller Kraft, die sie bei einem Schneideeisen einsetzen würde. »Nein«, sagte Tovin und schüttelte ungeduldig den Kopf. »Leichter. Die Klinge ist nicht aus Metall. Sie wird das Glas nicht auseinanderzwingen. Sie wird es schneiden.« Rani entspannte ihr Handgelenk ein wenig, aber er schüttelte noch immer den Kopf. »Noch leichter. Es ist wie eine Feder auf Pergament. Betrachte es so, als zeichnetest du ein Muster.«
Rani bezweifelte, dass sie in der Lage wäre, die Linie zu schneiden, die sie schneiden wollte, aber sie verringerte den Druck, bis es schien, als würde das Messer die Oberfläche des Glases kaum streifen. Tovin nickte, und sie zog die Diamantklinge auf sich zu. Eine ganz feine Linie verschmolz mit dem durchsichtigen Glas.
Tovin beugte sich vor, legte zwei Finger auf die Stücke und zog sie mühelos auseinander. Rani keuchte erstaunt – es war unmöglich, dass er die Scheibe mit so wenig Anstrengung geteilt hatte. »Siehst du?«, fragte er. »Ich kann lange Stücke fertigen, weil ich nicht so viel Druck brauche, um sie zu brechen.« Sie nickte langsam und stellte sich die komplizierten Muster vor, die sie mit Tovins Messer gestalten könnte. Sie umklammerte das Werkzeug mit Fingern, die plötzlich starr vor Sehnsucht waren. Der Gaukler bemerkte es und nickte, während er sagte: »Du musst noch viel lernen, Ranita Glasmalerin, und ich kann es dich lehren. Gegen Vergütung.«
Rani erstarrte ganz kurz, und dann legte sie das Diamantmesser auf den Tisch. Sie war sich plötzlich des Schnittes ihres Gewandes und des Flusses des Leinenstoffes bewusst, der sich an ihre Oberschenkel schmiegte. Sie spürte das Haar in ihrem Nacken, das sich im Laternenschein ringelte. Sie stand zu nahe bei Tovin, so nahe, dass sie seine Körperwärme spürte. Rani trat einen Schritt fort und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie zwang sich zu sagen: »Natürlich. Alles hat seinen Preis.«
Tovin sah sie einen kurzen Moment durchdringend und scharf mit seinen kupferfarbenen Augen an. Dann lächelte er und schüttelte den Kopf. Er trat ebenfalls einen Schritt von dem gekalkten Tisch fort und streckte achselzuckend die Hände vor sich aus. Das Laternenlicht fing die Spuren der Glasnarben ein und betonte die weißen Linien. »Nicht was du gerade denkst, Ranita. Wir Gaukler verlangen keinen fleischlichen Zoll.«
Rani errötete, schlang die Arme aber fester um sich. »Was dann?«
»Lass dich von mir hypnotisieren. Jetzt.«
Rani dachte sofort an den Teich aus Kobaltglas, den Flarissa ihr gezeigt hatte, an den tröstlichen, mächtigen Weg, den sie gefunden hatte. Sie erinnerte sich an den Frieden und an die Macht, an die Kraft des Hypnotisierens, und ein Schauder durchfuhr sie von ihrem Nacken bis in ihre Glieder.
»Ich habe das bereits getan«, flüsterte sie. »Ich habe mich von Flarissa hypnotisieren lassen.«
»Ja, das war ein Handel, um unsere Paneele zu sehen. Dies ist ein anderer. Um zu erfahren, wie ich sie gestalte. Um das Können eines Gesellen zu lernen.«
Rani betrachtete Tovins Hände. Sie stellte sich vor, wie Kobaltglas an die weißen Narben anstieß. Sie dachte an die Glasmaler-Geheimnisse, die er ihr beibringen könnte. Als sie den Blick zu ihm hob, erkannte sie, dass er sie intensiv ansah. Sein Atem ging gleichmäßig, aber sie spürte seine Aufregung. Seine Stimme klang jedoch ruhig, als er sagte: »Du musst das nicht tun. Niemand kann einen anderen zwingen, sich hypnotisieren zu lassen.«
»Ich werde es tun.«
»Es ist deine eigene Entscheidung, Ranita.«
»Ich werde es tun«, wiederholte sie.
Er sah sie noch immer an und nickte gemächlich. »Also gut.« Tovin deutete auf ein Strohlager am anderen Ende des Lagerraumes. Als sie zögerte, sagte er: »Ich werde dich nicht berühren, Ranita Glasmalerin. Du hast die Macht des Hypnotisierens schon zuvor gespürt. Du weißt, dass ich dich zu nichts zwingen kann, was du nicht selbst willst.«
Rani wusste das. Sie wusste, dass er sie nicht zwingen konnte, Geschichten gegen ihren Willen zu erzählen. Sie erinnerte sich der Macht des Hypnotisierens mit Flarissa wie etwas
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