Die Gilden von Morenia 03 - Die Wanderjahre der Glasmalerin
von einem Diamanten geschnittenen Spiegel. Tovin sagte: »Du saßest am Fluss. Du sprachst mit Mair, und du ließest das Wasser deine Worte davontragen. Du ließest das Wasser fortfließen, fortspülen, davonplätschern. Du warst besorgt, während du mit Mair sprachst. Du hattest Angst. Aber der Fluss trug alle deine Lasten davon. Erinnerst du dich an den Fluss, Rani? Erinnerst du dich an das Wasser?«
»Ja.«
»Das Wasser bietet dir Sicherheit, Ranita Glasmalerin. Es wird deine Geheimnisse bewahren. Denk an das Wasser, Ranita. Denk daran, wie es dich hält. Dich bedeckt. Dich beschützt.«
Sie spürte das Wasser, spürte es über sich hinwegfließen. Sie spürte den kühlen Strom über ihre Zehen, ihre Knöchel, ihre Beine spülen. Sie lehnte sich in den Fluss zurück, bis ihr Haar das Flussbett hinabströmte, bis sie schwerelos dahintrieb, in dem stets veränderlichen, stets vollkommenen Fluss geborgen war.
»Du kannst jetzt sprechen, Ranita Glasmalerin. Du kannst dem Wasser deine Geheimnisse erzählen. Du kannst sie aussprechen und dich sicher fühlen. Erzähle dem Fluss von der Gefolgschaft.«
Rani wusste, dass sie vorsichtig sein musste. Sie durfte Tovin nicht alles erzählen, was sie über die Gefolgschaft wusste, nicht alles, was sie über die von Glair angeführte Zelle wusste. Dennoch hatte der Gaukler an diesem Abend eindeutig etwas gehört. Was konnte es schaden, wenn sie jetzt ein wenig erzählte?
»Wir sind Schwestern«, sagte sie, und ihre Worte wirbelten in die Strömung des Flusses.
»Wer?«
»Mair und ich. Wir sind Schwestern in der Gefolgschaft.«
»Wer sonst ist in der Gefolgschaft?«
Was hatte sie dort neben dem Fluss gesagt? Was wusste Tovin bereits? »Glair.«
»Und wer noch?«
Wen sonst hatte sie benannt? Hatte sie von Hal gesprochen? Hatte sie ihn beim Namen genannt? Sie konnte nicht sicher sein, und sie wollte Tovin nicht mehr erzählen, als er bereits wusste. »Andere«, sagte sie schließlich. »Viele andere.«
Der Fluss strömte weiter dahin, warm und schnell, und trug sie in einer Strömung weißen, weißen Lichts voran. Sie spürte Frieden in sich aufwallen, als sie erkannte, dass sie sich tatsächlich unter Kontrolle hatte. Sie konnte sich entscheiden, nichts zu sagen, Hals Namen nicht mitzuteilen.
Wenn es Tovin beunruhigte, dass sie nicht ausführlich geantwortet hatte, so zeigte er es nicht. »Und was tut die Gefolgschaft?«
Tun? Die Frage war so groß. Sie erstreckte sich über das Flussbett, füllte allen Raum von einem Ufer zum anderen aus. Tun? Rani konnte die Frage nicht einmal annähernd beantworten.
Tovin wartete, und dann sagte er geduldig: »Versammelt sich die Gefolgschaft regelmäßig?«
Das war zumindest einfach. »Nein.«
»Versammelt sich die Gefolgschaft jemals?«
»Ja.«
»Erzähl mir vom letzten Treffen der Gefolgschaft, Rani. Erzähl mir, was geschehen ist.«
Rani hielt mitten im Fluss inne, dachte an die Runde, die sie und Mair durch die zerstörten Straßen Morens gemacht hatten. Sie konnte vom Treffen der Gefolgschaft erzählen. Sie konnte es mit Tovin teilen. Er wusste bereits, dass Glair ein Mitglied war. Solange sie Hals Namen geheim hielt, könnte sie erzählen. »Es war nach dem Feuer. Nach dem Feuer, das Moren zerstörte.«
Sie hörte ihre Stimme wie aus weiter Ferne, als ob der Wasserfluss ihre Ohren erfüllte. Als sie sprach, wurden die Worte davongetragen, den Fluss hinabgespült, dorthin, wo sie ihr selbst, Hal und Moren nicht mehr schaden könnten. Mit jeder Frage, die Tovin stellte, empfand Rani ihre Bürde als leichter. Die Erleichterung, über die Gefolgschaft zu sprechen, brachte sie fast zum Weinen.
Sie hatte nicht erkannt, wie schwierig es war, die schattenhafte Bruderschaft geheim zu halten. Sie erzählte von den Geheimtreffen der Gefolgschaft und den schwarzen Masken, welche die Mitglieder trugen. Sie erzählte von ihren schattenhaften Plänen, Königreiche einzunehmen, den Träumen, welche die Gefolgschaft hegte. Sie erzählte von Macht, purer Macht, die in geheimen Kanälen unter den Gebäuden der morenianischen Politik dahinströmten.
Das Hypnotisieren beschützte das Erzählen, beschützte Rani. Es nahm das schreckliche Gewicht ihres Doppellebens von ihr. Nichts Böses konnte geschehen, während sie hypnotisiert war. Die Gefolgschaft konnte sie nicht kontrollieren, würde sie nicht bedrohen. Sie konnte keine Forderungen an sie stellen, wie sie es bei Hal getan hatte.
Es war richtig, davon zu erzählen. Sie erlangte
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