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Die Gilden von Morenia 03 - Die Wanderjahre der Glasmalerin

Titel: Die Gilden von Morenia 03 - Die Wanderjahre der Glasmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mindy L. Klasky
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sagte meine Mutter mir. Sie befahl mir, dir den Lagerraum zu zeigen.«
    »Jetzt?« Rani sah sich zu den Gauklern um.
    »Ja, wenn du magst. Das Schmausen wird bis zur Dämmerung fortgeführt. Du hast noch nie an einer Gaukler-Feier teilgenommen – wir werden die ganze Nacht Geschichten erzählen.« Rani wollte Mair rufen, um ihr zu sagen, wohin sie ging. Das Unberührbaren-Mädchen befand sich jedoch inmitten der sich drehenden Seile, mit irgendeinem neuen Trick beschäftigt. »Wenn du natürlich lieber warten willst…«, sagte Tovin.
    »Nein!«, protestierte Rani. »Ich will lernen.«
    Tovin führte sie mühelos durch die Menge. Als sie am Lagerraum ankamen, griff er in eine Tasche an seiner Taille und brauchte nur einen Moment, bis er einen Eisenschlüssel hervorzog. Er öffnete die Tür schwungvoll, und Rani neigte auf seine spöttisch galante Geste hin den Kopf. Als sie über die Schwelle trat, fühlte sie sich wie eine Lady in einer der Erzählungen der Gaukler.
    Der Raum war von Schatten erfüllt. Die entgegengesetzte Wand war mit Masken bedeckt – mit großartigen, reich verzierten Gesichtern, die anzüglich grinsten oder die Stirn runzelten oder lächelten und das vor ihnen stehende Paar anstarrten. Geöffnete Truhen, aus denen ein Gewirr von Kostümen und Putz quoll, standen entlang den Seiten des Raumes. Rani verweilte in der Nähe des Eingangs, während Tovin voranschritt. Mit ihr zugewandtem Rücken gelang es ihm auf wundersame Weise, auf dem großen Tisch, der die Mitte des Raumes ausfüllte, eine Laterne anzuzünden, und ein warmer, gelber Schein breitete sich aus.
    »Komm herein«, sagte er. Sie trat eifrig vorwärts und hielt vor Aufregung den Atem an, als sie an die Glasarbeiten dachte, an die Meisterstücke, die sie in Liantine auf der Bühne gesehen hatte. »Schließ die Tür hinter dir.«
    Rani gehorchte mechanisch, hörte den Riegel zuschnappen, als sie die Eiche heranzog. Das Laternenlicht schien nun heller und ließ mehr Einzelheiten der Kostüme und die glänzenden Augen der Masken hervortreten. Der Raum schrumpfte um sie zusammen, und Rani wurde an andere dunkle Räume erinnert, in denen sie gewesen war, an die verborgenen Gänge in Morens Stadtmauern. Es gab hier unter den Gauklern Geheimnisse, Geheimnisse, für deren Ergründung sie bezahlen musste. Ihre Nackenhaare richteten sich auf.
    »Hier herüber«, sagte Tovin und deutete auf einen Tisch.
    Rani ermahnte sich zitternd, dass dieser Mann Flarissas Sohn war. Flarissa war freundlich zu ihr gewesen. Flarissa hatte auf sie aufgepasst. Flarissa hatte sie hypnotisiert. Als sie den Frieden dieses Hypnotisierens heraufbeschwor, die ruhige Kraft, die von dem Kobaltsee in ihrem Geist ausging, fand Rani den Mut, den Raum zu durchqueren.
    Auf dem Tisch waren Glasarbeiten ausgelegt. Rani konnte die Ränder eines mit dunklem Kohlestift auf den gekalkten Tisch gezeichneten Musters ausmachen. Sie konnte ein Gewirr von Flammen sehen, schmale Glasstücke, unglaublich lang, unglaublich zerbrechlich.
    »Diese werdet Ihr niemals schneiden«, hauchte sie, während ihre Finger über den farbigen Zungen schwebten.
    »Natürlich werde ich das. Wie sonst könnten wir die Geschichte des Feuervogels aufrühren?« Tovin prahlte nicht. Er konstatierte nur die Wahrheit, wie er sie begriff.
    »Wie?«
    »Ich benutze keine Schneideeisen. Ich benutze ein Diamantmesser.«
    »Ein Diamantmesser?« Rani hatte noch nie von einem solchen Werkzeug gehört.
    »Wir erwerben sie durch Handel. Sie kommen aus Königreichen weit südlich von hier.« Tovin hob ein Werkzeug auf, einen Eisenstiel mit einem in die Spitze eingelassenen, glänzenden Kristall. Er bot es Rani dar, die näher herantrat, um sich das seltsame Werkzeug anzusehen. Sie drehte es im Laternenlicht, sah, wie unglaublich dünn die Klinge und wie haarfein die scharfe Kante war. Sie balancierte das Messer in ihrer linken Hand und begann, es mit dem rechten Zeigefinger zu prüfen. »Vorsicht!«, rief Tovin aus.
    »Ich war vorsichtig!«
    »Nicht vorsichtig genug. Sie ist schärfer als jede andere Klinge, die du jemals benutzt hast. Hier.« Er griff über den Tisch und wählte ein Stück durchsichtiges Glas aus. »Schneide dies.«
    Rani blickte auf seine Hände hinab, die das Glas ruhig festhielten. Nun, so nahe bei ihm, konnte sie das Netzwerk von Narben erkennen, das sich über seine Finger zog. Es war Jahre her, dass sie solche Hände gesehen hatte, Hände, die von lebenslangem Glasschneiden und den entsprechenden

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