Die Gilden von Morenia 03 - Die Wanderjahre der Glasmalerin
Amt seit Jahrzehnten innegehabt. Er war die Stimme all der Tausend Götter, der Vater aller Gläubigen. Er war der Führer, der Rani in die Kirche gebracht hatte, der sie zur Ersten Pilgerin geweiht hatte. Er war der Priester, der sie in die königliche Familie geleitet hatte, sie zu Hal geführt hatte.
Und nun war er tot.
Endlich gelang es Rani, mit zitternden Lippen wieder zu atmen. Sie musste ein Geräusch verursacht haben, denn Mair wandte sich zu ihr um, wobei ihre Augen hinter der schwarzen Maske sie fragend anblickten. Dartulamino fuhr fort, bevor Rani flüsternd eine bedeutungslose Erklärung äußern konnte.
»Der Heilige Vater ist spät in der Nacht gestorben. Er wusste, dass Tarn auf ihn wartete. Er rief mich zu sich, bevor er sich am Abend zur Ruhe begab, und wir beteten gemeinsam bis weit in die Nacht hinein.« Dartulamino vollführte ein heiliges Zeichen über der Brust, ein Segenszeichen, das von allen Mitgliedern der Gefolgschaft nachgeahmt wurde. »Er war ein alter Mann, und ein guter Mann.«
»Alt un gut, ja«, krächzte Glair. »Aber tot. Un das ändert einige unsrer Pläne, Leute. Das ändert unsre Arbeit hier in Moren, in ganz Morenia.«
»Verzeiht«, erklang die Stimme einer Frau, die Rani nicht erkannte. »Der Tod des Heiligen Vaters wird unser Leben als Morenianer gewiss verändern. Aber wie beeinflusst er die Gefolgschaft?«
Glair deutete als Antwort mit zitternder Hand auf Dartulamino. »Priester? Wollt Ihr Eurer Schwester nich antworten?«
Dartulamino neigte den Kopf, als krieche er vor Glair zu Kreuze. Er richtete seine Antwort jedoch an die ganze Gefolgschaft. »Ja. Gefährten, ich habe eine Antwort. Wie ihr sicher alle wisst, wird der Nachfolger des Heiligen Vaters von der Kurie gewählt, von dem Dutzend höchster Priester im ganzen Land. Die Kurie diskutiert diese Pflicht häufig, solange ein Heiliger Vater noch lebt. Sie studiert ihre Verbindlichkeiten und Möglichkeiten und entscheidet gemeinsam mit dem lebenden Heiligen Vater, wer die Verantwortung für die Kirche am besten übernehmen sollte. Die Wahl wird getroffen, bevor sich der Heilige Vater zu Tarn jenseits der Himmlischen Tore gesellt.«
Hals Stimme hallte in dem trüben Raum wider und ließ Rani zusammenzucken. Anspannung ließ seine Worte schriller klingen als üblich. »Und wen hat die Kurie erwählt, Bruder?«
»Ich wurde erwählt, Bruder. Demütig werde ich meine Pflichten als neuer Heiliger Vater Morenias erfüllen.«
Die Enthüllung traf Rani wie ein von Davins Kriegsgeräten gefälltes Gebäude. Dartulamino. Der Heilige Vater. Die Kirche hätte mehr Macht in der Gefolgschaft – in ganz Morenia –, als sie jemals zuvor hatte.
Die übrigen Gefolgsleute mussten ebenso erstaunt gewesen sein wie Rani selbst. Einige wenige sanken vor ihrem neuen religiösen Führer auf die Knie. Andere drängten vorwärts, als wollten sie eifrig den Saum von Dartulaminos grünem Gewand berühren. Wieder andere wichen zurück, fürchteten anscheinend die Macht in ihrer Mitte. Rani merkte, dass sie erstarrt war, gelähmt und unfähig, irgendetwas zu tun.
Glair übernahm wieder die Führung über das Treffen. »Nu’ is euch klar, warum wir euch hierher gerufen haben. All ihr Mitglieder unsrer Gefolgschaft, ihr alle kennt die Macht, die wir innehaben. Ein bindendes Prinzip, nach dem ich als eure Anführerin gelebt habe, lautet: Halt dich an deine Kaste. Nun, Dartulamino hat sich an seine gehalten. Er arbeitet schon in der Kirche, seit er ‘n Junge war, un er erntet nun reichlich, was er gesät hat. Wir werden auf lange Sicht an dieser Ernte teilhaben, aber nur, wenn wir auf den Feldern bereitstehen. Haltet euch bereit, Leute. Haltet euch bereit, die Gefolgschaft vorwärtszubringen, schneller, als ihr euch jemals erträumt hättet. Es kann sein, dass wir uns in den nächsten Wochen an euch wenden, euch auffordern, Opfer zu bringen. Eure Zeit un euer Geld zu opfern. Opfer zu bringen, um unsre Gefolgschaft voranzubringen.«
Hätte Rani Glairs Rede unter anderen Umständen gehört, hätte sie sich stolz und gestärkt gefühlt. Sie hätte das Gefühl gehabt, Wissen und Erhabenheit zu besitzen, Macht und Ehre, um Morenia in ein neues Zeitalter zu führen.
Nun fühlte sie sich bei der Erklärung der Unberührbaren-Frau elend. Die Kirche kontrollierte bereits Hals Zukunft. Sie gebot bereits durch die Macht ihres Darlehens über sein Schicksal. Nun beherrschte Dartulamino die Kirche. Die Krone Morenias fiel unmittelbar unter die Knute
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