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Die Gilden von Morenia 03 - Die Wanderjahre der Glasmalerin

Titel: Die Gilden von Morenia 03 - Die Wanderjahre der Glasmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mindy L. Klasky
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und die Augenlöcher wirkten, als wären sie mit einem rostigen Nagel hineingerissen worden. Das unordentliche Kleidungsstück passte zur übrigen Kleidung des Neuankömmlings, raue Kleidung, die mehr Flicken als Stoff zu sein schien. Lumpen flochten sich durch knotige Finger, schmutzige Stofffetzen, die eindeutig geschwollene Gelenke schützen sollten.
    Glair – die Anführerin dieser Zelle der Gefolgschaft.
    Rani war der uralten Unberührbaren-Frau in der Vergangenheit schon häufig begegnet. Sie bewunderte das alte Weib dafür, dass sie ihre Gefolgsleute eisern im Griff hatte, aber sie fürchtete sie auch. Glairs Führerschaft der morenianischen Gefolgschaft stellte die Ordnung auf den Kopf. Eine Unberührbaren-Frau sollte nicht Adlige herumkommandieren, sollte nicht Händlern und Soldaten und Gildeleuten – und dem König ganz Morenias – Befehle erteilen.
    Glair kümmerte es offenbar nicht, was sie nicht tun sollte. Stark vornübergebeugt wandte sie sich seitwärts wie eine Krabbe und zog ihren elenden Körper die einzige Stufe des niedrigen Podests hinauf. Sie rieb sich ihre rechte Hüfte, als schösse ein Schmerz ihre Seite hinab, und dann hob sie eine verkrümmte, Ruhe gebietende Hand. Die Tür zum Raum wurde geschlossen, und der Riegel rastete hörbar ein.
    Die Stimme der alten Frau hallte in dem plötzlich stillen Raum wider, ihr Unberührbaren-Akzent war deutlich zu hören: »Gesegnet sei Jair, der über unser aller Kommen un Gehen wacht.«
    »Gesegnet sei Jair«, erwiderte die Versammlung. Rani ließ ihre Stimme in der Gruppe erklingen, und sie hörte auch Mair neben sich. Sie widerstand dem Drang, die Hand nach der Hand ihrer Freundin auszustrecken.
    »Die Wege Jairs sin geheimnisvoll«, fuhr die alte Frau krächzend fort. »Gesegnet sei Jair.«
    »Gesegnet sei Jair«, erwiderte die Gefolgschaft.
    »Die Wege der Tausend Götter sin geheimnisvoll«, fuhr Glair fort. »Gesegnet seien die Tausend Götter.«
    »Gesegnet seien die Tausend Götter.«
    »Die Wege Tarns sin geheimnisvoll. Gesegnet sei Tarn.«
    Ein Schaudern lief Ranis Rückgrat hinab, als sie den Gott des Todes anrief. »Gesegnet sei Tarn.«
    »Erinnern wir uns unsrer Brüder un Schwestern in dieser Gefolgschaft, die von Tarn gerufen worden sin un die im Dienst an ihm un uns die Himmlischen Tore durchschritten haben. Gesegnet seien die Gefolgsleute, die im Dienst der Gefolgschaft gestorben sin.«
    »Gesegnet seien die Gefolgsleute«, echote Rani, aber die Worte verfingen sich in ihrer Kehle. Sie war für mindestens einen dieser Tode verantwortlich, und ihr einst geliebter Bruder hatte einen weiteren verursacht.
    »Un so steh ich heute vor euch, Gefolgsleute. Ich steh vor euch, auch wenn wir alles riskieren, wenn wir uns bei Tageslicht versammeln. Eines unsrer Mitglieder hat uns Neuigkeiten gebracht, wichtige Neuigkeiten für die ganze Gefolgschaft.« Glair deutete auf einen mit einer Kapuze versehenen Gefolgsmann, der nun auf das niedrige Podest neben sie trat. »Sprich, Bruder. Erzähl uns all deine Neuigkeiten.«
    Rani kannte den Mann, auch wenn er die dunkle Maske trug. Das Grün seines Gewandes schimmerte in dem dunklen Keller und fing das unbeständige Fackellicht wie ein lebendiges Wesen ein. Dartulamino, der Priester, der mit dem Heiligen Vater in den Palast gekommen war, räusperte sich, bevor er die Versammlung ansprach. »Gesegnet sei Tarn«, erklang die Stimme des Priesters, und Rani fürchtete plötzlich, was er sagen würde. »Gesegnet sei Tarn, Brüder und Schwestern, der unseren geliebten Bruder von uns genommen hat – unseren Vater, unseren Leiter, unseren Führer. Gesegnet sei Tarn, der den Heiligen Vater durch die Himmlischen Tore geführt hat.«
    Ranis Kehle verengte sich, und die Lungen schwollen in ihrer Brust an – sie wollte atmen, aber sie konnte es nicht. Sie hörte das Blut in ihren Adern pulsieren. Sie spürte ihre Finger kribbeln, ihre Zehen pochen. Sie musste sich ermahnen, bewusst einzuatmen und ihren rebellierenden Magen zu beruhigen.
    Der Heilige Vater war tot.
    Sie erkannte, dass sie nicht überrascht sein sollte. Er war immerhin ein alter Mann gewesen. Er hatte während der vergangenen fünf Jahre viel erlitten. Er war schwach und müde geworden. Sie hatte ihn erst vor zwei Wochen in Hals Räumen beobachtet, hatte gesehen, wie wackelig er auf den Beinen war, wie desorientiert er ohne Dartulaminos sorgfältige Führung war.
    Aber er war der Heilige Vater, der einzige, den Rani je gekannt hatte. Er hatte das

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