Die Gilden von Morenia 03 - Die Wanderjahre der Glasmalerin
den Ruinen gesehen zu werden.
Schließlich erreichten sie das ausgebrannte Gewirr von Straßen, das die Grenze zwischen den Händlern und den Gildeleuten gebildet hatte. Dann gingen sie auf den breiteren Straßen des Gildeviertels weiter. Rani kannte diese Durchgänge weniger gut als die kreuz und quer um ihr Zuhause der Kinderzeit verlaufenden Straßen.
Natürlich erinnerte sie sich daran, wo die unselige Glasmalergilde gestanden hatte. Als sie durch die Erwartungen ihrer neuen Kaste gebunden gewesen war, hatte sie nur selten die Gelegenheit gehabt, die umgebenden Straßen zu erkunden. Mair, als die Anführerin einer Unberührbaren-Schar, hatte keinen solchen Beschränkungen unterlegen. Sie ging zuversichtlich durch die Verheerung voraus.
Rani bemerkte, dass der Boden unter ihren Füßen viele Abdrücke aufwies. Trotz des Feuers hatten Menschen das Gildeviertel durchstreift. Rani machte Mair gegenüber eine Bemerkung, aber Mair zuckte nur die Achseln. »Die Unberührbaren. Sie werden diese Straßen gründlich durchstöbert haben. Ich hätte meine Schar hereingebracht, sobald es hier kühl genug gewesen wäre umherzugehen.«
Rani sah sich in den trostlosen Ruinen um. »Was könnte man zu finden hoffen?«
»Du kennst die Unberührbaren, Rai. Die Gildeleute und die Männer des Königs würden alle möglichen Schätze ignorieren. Aber die Unberührbaren sind vielleicht die einzigen in ganz Moren, die durch das Feuer reicher geworden sind.« Diese Feststellung sandte Rani einen Schauer über den Rücken. Sie dachte unwillkürlich an die Unberührbaren, die sie in den Sälen mit Feuerlunge-Kranken gesehen hatte, die husteten, keuchten und schwarzen Ruß ausstießen. Dennoch war sie dankbar für die Füße, die diesen Weg bereits beschritten hatten, den Weg der Mädchen gekreuzt und wieder gekreuzt hatten. Wären die Unberührbaren nicht gewesen, wären Mairs und Ranis Fußspuren aufgefallen. Sie hätten vielleicht neugierige Fremde zum geheimen Treffpunkt der Gefolgschaft; geführt.
»Wir sind da«, sagte Mair schließlich. Rani wandte den Kopf und konnte die Mauer erkennen, welche die Ziegelbrennergilde umgeben hatte. Sie konnte die Brennöfen ausmachen, welche die Tonwaren der Gildeleute gebrannt hatten, die zerstörten Schuppen, in denen Lehrlinge große Bottiche mit Ton mit zerkleinertem Stroh gemischt hatten. Sie konnte die kläglichen Überreste des Gartens erkennen, der die Gilde ernährt hatte, die spinnwebartigen Spaliere, die für Kletterpflanzen errichtet worden waren. Ein plötzlicher Schmerz traf Ranis Herz, als sie sich umsah – so vieles dieser zerstörten Landschaft erinnerte sie an ihre vernichtete Glasmalergilde, nachdem die Soldaten des alten Königs damit fertig gewesen waren, nachdem sie sie niedergerissen und für ihre vermeintlichen Vergehen abgebrannt hatten.
Mair, von solch quälenden Erinnerungen unbelastet, wählte ihren Weg über den rußigen Untergrund und verzog angesichts des mit Querstreben versehenen Gebäudes, das jeden Moment einzustürzen drohte, das Gesicht. Der Keller öffnete sich zum Rand des Gartens. »Erinnerst du dich?«
Rani schluckte schwer und zwang sich, Mair zu folgen. Mair hatte natürlich Recht. Das Haus für die Geheimtreffen der Gefolgschaft war vor der Straße verborgen gewesen, vor zufälligen Betrachtern geschützt. Der Torwächter der Ziegelbrenner war ein Mitglied. So war die Gefolgschaft an den hohen Mauern der Gilde vorbeigelangt.
Der Eingang zum Keller war aus massivem Stein, als hätten seine Erbauer vorausgeahnt, dass er nach einem großen Unheil Zuflucht bieten würde. Die tiefe Nische hatte die Eichentür geschützt – obwohl die Bohlen geschwärzt waren, hatten sie standgehalten. Rani folgte Mair einige Stufen hinab, wobei sie ihre Röcke raffte, damit sie nicht über die geschwärzten Stufen schleiften. Die Tür war leicht angelehnt, als wäre sie von der Wucht des Feuers, das in dem Viertel gewütet hatte, nach innen gedrückt worden.
Mair hielt einen Moment inne und griff unter ihren fellgesäumten Umhang. Sie suchte in ihrer Kleidung umher und nahm dann einige Fetzen schwarzen Stoffs hervor, so dunkel wie das vom Feuer verkohlte Holz um sie herum. Ihre Finger bewegten sich trotz der kalten Luft sicher, während sie zwei Stücke Stoff auswählte und eines davon Rani reichte.
Einem uralten Brauch gemäß, verbargen die Mitglieder der Gefolgschaft des Jair ihre Gesichter voreinander, wenn sie bei großen Treffen zusammenkamen.
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