Die Gilden von Morenia 03 - Die Wanderjahre der Glasmalerin
noch als unterhaltsam erweisen, wenn Berylina anwesend war. Es war bedauerlich, dass Teheboths Königin bei der Geburt der Prinzessin gestorben war. Allen Berichten zufolge war die Königin eine kluge Frau gewesen, die ihre einzige Tochter vielleicht mit ein wenig gesundem Menschenverstand erzogen hätte. Der König hatte natürlich den größten Teil dieser Verantwortung auf die königlichen Kindermädchen abgewälzt, auf Dienstboten, die sich schon vor langer Zeit an die rauen und wilden Spiele der ihrer Obhut unterstellten Jungen gewöhnt hatten. Sie wussten nicht, was sie mit einem stillen Mädchen anfangen sollten, wie sie ein Wesen erziehen sollten, das Angst vor seinem eigenen Schatten hatte.
Ein Jahr in der Spinnengilde hätte Berylina auf Vordermann gebracht. Sie hätte um das, was sie wollte, zu kämpfen gelernt oder wäre dabei untergegangen. Aber am königlichen Hof war Berylina verzärtelt und beschützt und wie ein kostbarer Edelstein umhüllt worden. Das grausame Schicksal ihrer hässlichen Zähne und schielenden Augen ließ solch übertriebene Sorgfalt nur umso törichter wirken.
Marekas Spekulationen wurden vom Eintreten der Prinzessin unterbrochen. Grüne und silberfarbene Spinnenseide-Vorhänge wurden von einer der vielen Seitentüren beiseitegeschoben. Zwei Kindermädchen betraten die Große Halle, rauschten heran, als wollten sie den Raum von plündernden Piraten befreien. Die Prinzessin folgte widerwillig in ihrem Kielwasser, wobei sie die Hände von zwei weiteren Dienstmädchen umklammerte.
Das Kind trug ein weißes Spinnenseide-Gewand, bemerkte Mareka, eine unglückliche Nachahmung ihres eigenen Putzes. Die Kleidung der Prinzessin besaß jedoch nicht die Raffinesse von Marekas, keine leuchtenden Farben. Auch war sie für den molligen Körper eines Kindes nicht gut geschnitten. Sie bildete unter den Armen und über dem Bauch Falten. Der anspruchsvolle Stil hätte vielleicht zu einem Mädchen gepasst, das allmählich in seine frauliche Gestalt hineinwuchs, aber für Berylina schien der tiefe Ausschnitt wie ein grausamer Scherz. Die Prinzessin fühlte sich in dem Gewand auch eindeutig unwohl – sie wagte es immerhin, die Hand eines ihrer Kindermädchen loszulassen, um an dem Stoff zu zupfen. Wiederholt.
Als Berylina erkannte, dass aller Augen in der Halle auf sie gerichtet waren, schrumpfte sie zwischen ihren Dienerinnen sichtlich zusammen. Das Kindermädchen zu ihrer Rechten beugte sich vor, um ihr ermutigende Worte zuzuflüstern – erfolglos. Die Frau zu ihrer Linken versuchte es ebenfalls, beugte sich zum Ohr des Mädchens und lächelte, während sie nach vorne deutete. Schließlich wandte sich einer der vorausgehenden Wächter um und sah das Kind stirnrunzelnd an, drohte ihr eindeutig irgendeine schreckliche Strafe an. Berylinas Gesicht verzog sich, als wollte sie gleich in Tränen ausbrechen, aber es gelang ihr, einen einzelnen Schritt zu tun. Das strenge Kindermädchen sprach erneut, und das Mädchen tat einen weiteren Schritt, dann noch einen, und schließlich stand sie vor ihrem Vater.
Alle vier Dienerinnen traten von ihrem Schützling zurück, und Berylina sank in einen streng formellen Hofknicks. So, sann Mareka. Sie hatte es schließlich geschärft. Aber die Prinzessin bot heute Abend noch mehr Überraschungen. »Sire«, sagte sie und sah ihrem Vater in die Augen. Es war das erste Wort, das sie jemals in einem formellen Rahmen am Hof geäußert hatte.
»Mylady Berylina«, erwiderte König Teheboth, eindeutig überrascht, mit breitem Lächeln. »Ihr beehrt uns mit Eurer Anwesenheit.« Das Kompliment war fast zu viel für das Kind. Sie hatte keine Erwiderung geprobt. Teheboth rettete den Moment. »Ich habe für Euch einen Platz an meinem Tisch freigehalten, neben unserem geehrtesten Gast. Wollt Ihr uns Gesellschaft leisten, Tochter?«
»Ja, Sire.« Die Prinzessin blickte scheu zu König Halaravilli und begegnete seinem Blick einen Moment, bevor sie den ihren wieder senkte und errötete. Aber schließlich bestieg sie das Podest.
Nun, die Gehörnte Hirschkuh brachte immer wieder neue Wunder. Mareka lauschte dem erstaunten Flüstern, während ihre liantinischen Landsleute zusahen, wie die Prinzessin ihren Platz neben König Halaravilli einnahm.
König Teheboth musste befürchtet haben, dass die Haltung seiner Tochter nur kurzlebig wäre. Er hob eine gebieterische Hand und zog Lord Shalindors Blick auf sich. Der skelettartige Schatzmeister neigte kurz den Kopf, und dann zog er
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