Die Gilden von Morenia 03 - Die Wanderjahre der Glasmalerin
Lied war schlecht gewählt, eine übertrieben komplizierte Ode an den Frühling, die weitaus besser ins Gemach einer Dame als in die widerhallende Große Halle gepasst hätte.
Schließlich trugen die Küchendiener zum Abschluss der Mahlzeit Zuckerwerk herein. Zusätzlich zu honigsüßen Früchten gab es ein monströses Marzipan-Konfekt, so geformt und gefärbt, dass es dem morenianischen Löwen ähnelte. König Halaravilli spendete großzügiges Lob für das goldverzierte Gebilde und bot dann die Spitze des karmesinroten Schwanzes Prinzessin Berylina dar. Das Mädchen war erfreut – sie brachte sogar ein strahlendes Lächeln zu Stande, bevor ihre Nerven sie im Stich ließen und sie ihre Hasenzähne hinter den Handflächen verbarg.
Gleichzeitig mit dem Marzipan erschienen die Gaukler.
Das erste Anzeichen der Truppe war das Schwingen von Seide an den Doppeltüren der Großen Halle. Die grünsilberfarbenen Vorhänge wurden zur Seite gezogen und die Türen schwungvoll geöffnet. Zwei kräftige Männer trugen Eisenstäbe herein, die mit Spinnenseide-Bannern umwickelt waren. Mareka spürte einen physischen Schmerz in der Brust, als sie die Flaggen sah – diese Gaukler wurden von ihrer eigenen Gilde gefördert.
Gaukler im ganzen Land fanden ihre Schutzherren unter den Gilden und Handelshäusern, Gönner, die für das Passieren der Truppen auf der Straße bezahlten und Schutz und Mittel anboten. Mareka hatte die Gaukler, trotz der Beteiligung der Spinnengilde, erst wenige Male gesehen. Als bloßer Lehrling war es ihr selten erlaubt gewesen, deren Arbeit zu beobachten, wenn sie zum Gildehaus reisten.
Nun, durch die traditionellen Rollen ihrer Gilde unbehindert, sah Mareka voller Erstaunen, wie eine riesige, schmiedeeiserne Kugel in den Raum rollte. Das Gebilde war leicht so hoch wie zwei Männer. Es passte kaum unter dem Türrahmen hindurch. Die Kugel bestand nur aus einem Rahmenwerk mit sorgfältig gedrehten Streben, so dass man ins Innere blicken konnte. Darin eingeteilte Segmente zeigten sich ständig verändernde Stangen und Stäbe.
Zwei Frauen kauerten im Inneren der Kugel, in die traditionellen Überhosen und engen Tuniken der Gaukler gekleidet. Eine trug einen kunstvollen Kopfschmuck, schimmernde Hörner, die das Licht der Fackeln und Kerzen einfingen und auf die Zuschauer zurückwarfen. Die andere Frau war wie eine Jägerin gekleidet, die Spitze ihres Speers war mit demselben widerspiegelnden Schimmern überzogen.
Marekas Atem stockte in ihrer Kehle, während sie die Darbietung der Gaukler betrachtete. Die Frauen arbeiteten zusammen, rollten die Kugel über den Boden der Großen Halle. Sie benutzten ihr Körpergewicht, um die Eisenkugel beständig in Bewegung zu halten, bewegten sich über die Steinfliesen und hielten unmittelbar vor den Tischen an. Und die ganze Zeit über, während sich die Kugel drehte, führten die Frauen in ihren eisernen Grenzen vorsichtig einen Todestanz auf.
Die Jägerin pirschte sich an die Gehörnte Hirschkuh heran, folgte ihr von oben nach unten, von einer Seite zur anderen. Die Göttin wand sich und warf jedes Mal ihr schimmerndes Geweih auf, wenn sie entkommen war. Die Kugel rollte und hielt an, zog sich zurück und drang vor, und noch immer suchte die Jägerin ihre Beute. Ein Mal stach sie mit ihrem glänzenden Speer zu. Zwei Mal. Drei Mal, vier Mal.
Die Kugel hielt nun vor der erhöhten Speisetafel an. Die Gehörnte Hirschkuh und die Jägerin wanden sich, brachten das Metall erneut in Bewegung. Die Jägerin versuchte ein fünftes Mal, das heilige Tier zu töten. Ein sechstes Mal. Ein siebtes Mal. Die Frauen befanden sich nun unmittelbar vor König Teheboth. Die Gehörnte Hirschkuh streckte sich in der Kugel, Arme und Beine griffen nach eisernen Halterungen. Die Jägerin wartete auf den perfekten Zeitpunkt, stieß ihren Speer dann aufwärts und lehnte sich mit ihrem ganzen scheinbaren Gewicht hinein.
Das Geweih der Gehörnten Hirschkuh verfing sich in den Eisenstreben, und sie führte einen vollkommenen Todeskampf auf. Die Kugel hielt jäh an. Der Arm der Gaukler-Jägerin erstarrte, ihr Speer bildete eine makellose Linie.
Und dann bewegten sich die Frauen wieder. Sie sanken aus ihrer Haltung zusammen und verließen ihren Eisenkäfig. Sie stellten sich vor den erstaunten Hof und lächelten, während sie das schimmernde Geweih und den Speer schwangen. König Teheboth gab seinem Vergnügen mit lauter Stimme Ausdruck, während sich die Frauen wie Höflinge verbeugten. Dann
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