Die Gilden von Morenia 05 - Die Meisterschaft der Glasmalerin
zurückhalten.
Der Gaukler schritt jedoch in die Mitte der Lichtung, blind für die Unrechtmäßigkeit und ohne zu wissen, dass die Dinge nicht so waren, wie sie sein sollten. »Gali!«, rief er, und Kella brauchte einen Moment, bis sie erkannte, dass die fremdartigen Silben der Name einer Frau waren, der Frau, die in der Mitte der starren, hölzernen Plattform stand.
Sie wandte sich langsam Tovin zu, und Kella konnte erkennen, dass sie die Enden von zwei dünnen Stäben auf ihren Handflächen balancierte. Dünne Metallscheiben befanden sich auf den Stäben. Als Kella blinzelte, erkannte sie, dass sich die Stäbe drehten, so rasch drehten, dass ihre Bewegung fast unsichtbar war. Die Scheiben wirbelten auf ihren schmalen Stützen umher und fingen das Schimmern des Sonnenlichts ein, als wären es Schmetterlingsflügel.
Gali neigte zu Tovin gewandt den Kopf, aber dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder den Stäben zu. Mit geübter Konzentration schleuderte sie den Stab auf ihrer linken Handfläche auf ihre rechte, so dass sich beide Stäbe nun dicht nebeneinander drehten. Die Frau nahm sich einen Moment Zeit, um zu überprüfen, ob sich die Scheiben weiter drehten, und dann streckte sie einen Fuß aus. Kella sah, dass Gali fremdartige Schuhe trug – seltsame Schuhe, die sich über ihren Zehen nach oben bogen. Die Kräuterhexe blinzelte, und dann erkannte sie, dass die Schuhe tatsächlich in Stoffbällen endeten.
Gali beobachtete ihre sich drehenden Scheiben mit sorgfältiger Aufmerksamkeit, ihre Zungenspitze hielt sie zwischen den Zähnen gefangen. Als sie ein unsichtbares Zeichen vernahm, trat sie mit ihrem rechten Fuß nach vorne aus, und die Bewegung schleuderte den Stoffball in die Luft. Ein rascher Schleifschritt brachte die Hand mit den Scheiben unter den Ball, und es gelang ihr, ihn auf einer der Scheiben aufzufangen.
Sie stabilisierte die neue Anordnung – ein Stab mit Scheibe und Ball, ein weiterer Stab mit Scheibe. Dann trat sie mit ihrem linken Fuß in die Luft und ließ dessen Ball im Bogen gen Himmel fliegen.
Der Tritt war zu fest. Gali sprang nach dem Ball, aber er war außer Reichweite. Sie trat zurück, hielt ihre Hand ruhig, stabilisierte die sich drehenden Scheiben. Aber selbst diese Bewegung erwies sich als zu viel. Die Balance war fort. Stäbe, Scheiben und Bälle krachten um sie herum herab. Ein Strom zorniger Flüche entströmte Galis Lippen.
Tovin lachte und bückte sich nach dem Ball, der vom Rand der hölzernen Plattform gerollt war. Er warf ihn der Frau unbekümmert zu und nickte, als sie ihn auffing. »Versuch es weiter«, rief er. »Du wirst die Balance schon noch finden.«
Galis Augen sprühten Funken, und Kella wunderte sich, dass ihr Reisender die wahre Verärgerung hinter diesem Blick nicht erkennen konnte. Aber vielleicht konnte er es doch. Vielleicht lachte er nur über den kaum gedämpften Zorn. Vielleicht kümmerte es ihn nicht, wenn eine Frau gegen ihn wütete.
Tovin wandte sich ihr mit einer tiefen Verbeugung zu, als befände er sich in Gegenwart von Königen. »Kella Kräuterhexe, darf ich Euch Gali Gaukler in vorstellen.«
Kella las die scharfsinnige Einschätzung auf dem Gesicht der jüngeren Frau und erkannte, dass sie auf alle möglichen Arten beurteilt wurde. Ja, wollte sie sagen. Dein Gaukler war mit mir zusammen, mit mir mit meinem grauen Haar und meiner runzeligen Haut. Ich tue mehr zu seiner Unterhaltung, als nur ein paar Scheiben zu drehen. Stattdessen sagte Kella: »Ihr solltet nicht hier auf der Lichtung sein. Wenn die Männer des Königs hierherkommen, werden sie Euch vertreiben, nachdem sie Euch für die Benutzung der Lichtung Münzen berechnet haben.«
Gali antwortete augenblicklich mit kühler Stimme. »Die Männer des Königs werden durch meine Vorführung unterhalten werden, gute Frau.«
»Indem Ihr Stäbe und Scheiben umherwerft? Wenn Ihr den Männern des Königs gegenüber prahlt, werdet Ihr Euch in einer steinernen Zelle in der Stadt wiederfinden.« Kella wusste, dass sie Recht hatte. Der König würde eine Truppe Vagabunden niemals dulden. Nicht hier. Nicht in der Nähe der Haine, in denen die Hirsche umherliefen, und der Teiche, wo die Schwäne nisteten. Gewiss nicht mit diesem Gebilde, das sie aufgebaut hatten – eine hölzerne Plattform mitten im gewachsenen Wald.
Auch Kella war in den Wäldern nur geduldet. Sie wusste, dass sie hauptsächlich toleriert wurde, weil sie ihre Anwesenheit verbarg. Und ein oder zwei Tinkturen braute, die
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