Die Gilden von Morenia 05 - Die Meisterschaft der Glasmalerin
Lichtung im Wald etwas Neues. Sie schufen eine Art Magie, die Kella sich nur vorstellen konnte, die eine Kräuterhexe nur erträumen konnte. Sie woben Macht aus der leeren Luft und aus Streifen Stoff.
Während Kella zusah, vergaß sie die Männer des Königs. Sie vergaß die in ihrem Sack schmorenden Süßweinblütenblätter. Sie vergaß alles, was sie gelebt und geträumt hatte, all die Lektionen, die sie unter den Schwestern gelernt hatte. Sie besann sich nur darauf zuzusehen und zu atmen und selbst zum Bändertanz zu werden.
»Also kannst du die Muster sehen.«
Tovins Stimme neben ihr ließ sie zusammenzucken, und sie wollte ihn anschreien, ihn dafür bestrafen, dass er sie von der Perfektion der Seide fortzog. Sie erkannte ihren Zorn jedoch, benannte ihn und schirmte sich davor ab. »Ja«, sagte sie, und ihre Stimme klang rau, als hätte sie einen Tag und eine Nacht lang hart gearbeitet.
»Sie sind ein weiterer unserer Tricks.« Tovin zuckte die Achseln. »Wie die Hypnose.«
Nicht wie die Hypnose, wollte Kella sagen. Überhaupt nicht wie die Hypnose. In den Bändern liegt wahre Macht, in dem Tanz liegt wahre Macht. Sie schüttelte den Kopf und sagte: »Es sind spielende Kinder.«
»Es sind Gauklerkinder.«
Kella schluckte schwer und räusperte sich. Sie legte Trotz in ihre Stimme, als dürfte sie den Reisenden nicht wissen lassen, wie die Seidenbänder sie berührt hatten. »Sie werden in einem sarmonianischen Gefängnis dennoch frieren und einsam sein, wenn die Männer des Königs sie hier erwischen.«
Tovin lachte, warf den Kopf zurück und ließ seine kastanienbraunen Locken das Sonnenlicht reflektieren. »Darüber brauchst du dir keine Sorgen mehr zu machen. Meine Gaukler haben gerade eine Verfügung von König Hamid persönlich erhalten. Anscheinend eilt uns unser Ruf voraus. Sarmonia hat uns aufgefordert, auf der Großen Lichtung zu bleiben, um eine großartige Vorführung vorzubereiten. Am letzten Tag des Sommers werden wir uns bei Hof präsentieren.«
Kella glaubte dem Mann zunächst nicht. Bürgerliche waren auf der Großen Lichtung nicht geduldet, nicht ohne die Begleitung des Königs. Das heißt, andere Bürgerliche als Kella. Kella und die Schwestern.
Aber die Zeiten änderten sich. Sarmonia war nicht mehr das Königreich, das sie gekannt hatte, nicht mehr das Zuhause, das sie mit vier vertrauten Mauern und einem fest geflochtenen Dach geschützt hatte. »Am letzten Tag des Sommers«, sagte sie, und ihre Stimme klang beim letzten Wort rau.
»Ja«, bestätigte Tovin und nickte. »Es ist jetzt nicht mehr lange hin. Aber lange genug. Lange genug, um zu tun, was getan werden muss.«
Kella sah, wie der Blick des Mannes an den Kindern, an dem atemberaubenden Bändertanz vorbeischweifte. Er schaute zum Waldrand, zu der Dunkelheit jenseits des sonnenbeleuchteten Bereichs. Sie stellte sich einen Herzschlag lang vor, sein Blick könnte in das Dickicht vordringen, wo Jalina lebte, zu der Frau aus dem Norden und ihrem verborgenen Sohn. Was genau wusste Tovin über sie? Warum kümmerten sie ihn?
Sie schnaubte bewusst entrüstet. »Also gut. Lass die Kinder den ganzen Tag spielen. Ich muss zumindest arbeiten. Ich muss Tränke brauen, wenn ich die Kälte einer langen Winternacht fernhalten will.«
Tovin schwieg, während sie die Lichtung überquerte und zu ihrer Hütte zurückging. Sie widerstand dem Drang, sich umzuwenden, um nachzusehen, ob er ihr folgte. Er würde nur allzu bald zu ihr kommen. Er würde in ihre Hütte zurückkehren, von der Macht angezogen, die er in ihr spürte, zu den Lektionen hingezogen, die sie ihn lehren könnte. Und dann würde sie ihn dazu bringen, ihr seine Träume zu erzählen. Sie würde die Macht in ihm kennenlernen, die Macht der Gaukler, die sie in dem Seidentanz der Kinder gesehen hatte.
3
Halaravilli ben-Jair blickte den Waldweg hinab und unterdrückte den Drang, vor Enttäuschung loszubrüllen. So hatte er die Dinge nicht geplant. So hatte er sich sein Leben nicht vorgestellt. Er sollte zu Hause in Moren sein und über seine Riberrybaum-Haine hinwegblicken, die Reichtümer seines Wagnisses mit den Octolaris-Spinnen zählen. Er sollte neben seiner Frau stehen und liebevoll seine Kinder betrachten, während sie im königlichen Garten umhertollten. Er sollte in Frieden und Wohlstand regieren, sein Volk zu Reichtümern führen, die sie sich in den Zeiten seiner würdigsten Vorfahren niemals vorgestellt hätten.
Aber Hals Träume waren schon vor langer
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