Die Gilden von Morenia 05 - Die Meisterschaft der Glasmalerin
der Nähe sein müsste. Ihre Mörderklingen und Gifte würden ihr Ziel nur allzu bald finden – und das alles, weil Tovin ihr helfen wollte…
Rani schloss die Augen, atmete beruhigend ein, versuchte umzudenken, versuchte, das Wissen zu verinnerlichen, dass ihr Ende rasch näher kam. Sie überhörte fast Tovins Antwort: »Varna Tinker, Euer Majestät.«
Was? Varna Tinker war für Rani schon seit fast einem Jahrzehnt verschollen, in dem Chaos untergegangen, das der Zerstörung des Gildehauses der Glasmaler gefolgt war. Rani konnte sich selbst jetzt noch an den Gram erinnern, als ihre beste Freundin sie an die Männer des Königs verraten hatte.
Nun, in Sarmonia, warf sie Mair einen verzweifelten Blick zu, ihrer Freundin, die aus diesem Verrat hervorgegangen war.
Aber Mair konnte ihr keinen Beistand leisten. Die Unberührbaren-Frau war in ihr eigenes Leid verstrickt, das Gesicht war aufgrund ihrer gefesselten Handgelenke verzerrt. Sie betrachtete ihr schwarzes Seidenquadrat, als enthielte es ihren persönlichen Schlüssel zu den Himmlischen Toren. Sie wäre keine Hilfe.
Hatte Rani Tovin von Varna erzählt? Hatte sie den Schmerz offenbart, den sie vor so langer Zeit erlitten hatte?
Sie musste es getan haben. Tovin hatte den Namen keineswegs zufällig erwählt. Und doch konnte sich Rani nicht daran erinnern, von ihrer Spielkameradin aus der Kinderzeit gesprochen zu haben, konnte sich nicht daran erinnern, dem großen Gaukler von diesem Abschnitt ihrer Jugend erzählt zu haben.
Noch während sie sich über sein Wissen wunderte, erkannte sie die Antwort. Sie hatte in der Hypnose mit ihm über das Aufwachsen in der Stadt gesprochen. Sie hatte zahlreiche Geschichten der Vergangenheit mit ihm geteilt. Sie musste Varna einmal erwähnt haben, als sie unter dem seltsamen Zauber stand, den Tovin webte. Sie musste beiläufig etwas erwähnt haben, und er hatte sich daran erinnert. Welche Geheimnisse hatte er sich noch gemerkt, um sie gegen sie einzusetzen? Was wusste er noch, was konnte er willentlich benutzen, wann immer ihm danach war?
Und welche Bedeutung hatte es, hier in Sarmonia, wo eine weitere Krise vorlag?
»Varna Tinker«, sann König Hamid, als probiere er die Silben aus, bevor er sie erwerben wollte. »Also eine Händlerin, nach Eurer Namensgebung. Das erklärt, woher sie die Mittel hat, Eure Truppe zu fördern. Es erklärt mir jedoch kaum, was sie hier tut, Tovin Gaukler. Oder was sie in meinem Wald wollte.«
Tovin lächelte leichthin. »Wir waren verabredet…«
»Ruhe, Gaukler.« Der Befehl des Königs erfolgte sanft, aber unmissverständlich. »Ich möchte die Erklärung von Varna selbst hören.«
Rani trat vor, räusperte sich und wünschte, ihre Hände wären frei und ihre Schultern entspannt, damit sie ohne die Ablenkung durch den brennenden Schmerz sprechen könnte. »Wir waren verabredet, Euer Majestät. Meine Karawane und die Gaukler.« Sie erwärmte sich für ihre Geschichte, als sie nicht sofort unterbrochen wurde. »Ich bin von Beruf Kesselflickerin, und ich hatte gehofft, neue Reichtümer zu entdecken, die ich auf dem morenianischen Marktplatz anbieten könnte. Tovin Gaukler war bereits in den Süden gekommen, um mit seiner Truppe zu arbeiten. Ich hoffte, er würde Kontakte für mich aufbauen, Quellen für Waren auftun können, die ich nach Morenia bringen und dort mit Gewinn verkaufen könnte.«
»Die Männer, die mit Euch reisen, sehen kaum wie Händler aus.«
Rani nickte zustimmend. »Das sind sie auch nicht, Euer Majestät. Es ist ein langer Weg zwischen hier und Morenia. Ich hoffte, meine Reichtümer vor jedermann zu beschützen, der mich unterwegs angreifen würde.«
»Meine Männer fanden bei Euch keine Handelswaren. Wir fanden keinen Beweis für Eure… Karawane.«
»Nein, Euer Majestät. Wir haben noch keine Käufe getätigt. Wir sind gerade erst in Sarmonia angekommen, vor zwei, nein, vor drei Tagen. Wir wollten erst mit Tovin Gaukler in Kontakt treten.«
»Dann solltet Ihr Reichtümer bei Euch haben. Was erwartetet Ihr für sarmonianische Waren einzutauschen?«
In der Tat – was. Ranis Geschichte löste sich auf wie eine Lüge, die man Eltern erzählt. Sie hatte keine Waren bei sich. Sie hatte keinen Schmuck. Sie hatte nicht einmal einen Vorrat an Münzen. Bevor sie aus dünner Luft ein weiteres Kapitel weben konnte, trat Puladarati vor. »Wir reisen mit Wechseln von König Halaravilli ben-Jair, Euer Majestät.«
König Hamid verengte die Augen. »Stimmt das, Madam Tinker?
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