Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die gläserne Gruft

Die gläserne Gruft

Titel: Die gläserne Gruft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
Vom Netzwerk:
wiegte den Kopf.
    »Also nicht?«
    »Tja.« Sie strich durch ihr Haar, das sich eigentlich nie so richtig bändigen ließ. »Das kann man nicht so direkt sagen«, erwiderte sie. »Eigentlich ist Harry super.«
    »Aber?«
    »Er ist nur sauer wegen seines Alters. Fünfzig, weißt du? Oder ein halbes Jahrhundert. Für ihn hört sich beides nicht gut an. Seit gut zwei Wochen sitzt er manchmal am Abend mit mir zusammen und grübelt über sein Alter nach. Das hat er sonst nicht getan, aber die Fünfzig scheint ein Einschnitt bei Männern zu sein.«
    »Nicht nur bei Männern, Dagmar.«
    »Ich weiß. Aber da kann ich nicht mitreden. Ich bin noch einige Jährchen davon entfernt.«
    »Gab es einen Grund für... seine Stimmung?«
    »Nicht durch mich. Eher durch seinen Job. Er hat gehört, dass einige seiner Kollegen schon in den Fünfzigern in Ruhestand geschickt worden sind. So etwas wurmte ihn natürlich. Jetzt denkt er natürlich, dass auch er daran glauben muss.«
    »Das ist sogar nachvollziehbar.«
    »Aber du wirst mit ihm reden – ja?«
    »Mach ich. Versprochen.« Dann setzte ich noch eine Frage nach. »Wann ist denn die Feier beendet?«
    »Am frühen Abend.«
    »He, so schnell schon?«
    Dagmar lächelte entwaffnend. »Es ist ein Brunch gewesen. Das fängt früh an und hört früh auf. Gegen siebzehn Uhr marschieren die Ersten, und dann haben wir innerhalb einer Stunde unsere Ruhe. Da können wir uns dann unterhalten.«
    »Nach dem Aufräumen.«
    Dagmar schüttelte den Kopf. »Nein, nach dem Lüften. Zum Aufräumen kommen zwei Frauen vom Partyservice. Was nicht gegessen wurde, bleibt hier. Sieh zu, dass du noch etwas abbekommst.« Sie küsste mich auf die Wange. »Toll, dass du gekommen bist.«
    »Ist doch Ehrensache.«
    Ich ging in die Küche. Dort waren die leckeren Dickmacher aufgebaut. Suppe gab es nicht mehr, dafür aber Fisch, Fleisch, Käse und jede Menge Salate.
    Auch deftige Wurst, Brot, Brötchen und Butter standen zur Verfügung. Ich wusste nicht, wo ich beginnen sollte, und aß den in handliche Teile geschnittenen geräucherten Fisch. Dazu trank ich ein Bier.
    Als ich mich um das Hauptgericht kümmerte – Schweinebraten mit Kruste – betrat Harry die Küche.
    »Ha! Hier steckst du. Hätte ich mir auch denken können.«
    »Ich hatte Hunger und Durst. Außerdem hält essen und trinken Leib und Seele zusammen.«
    »Stimmt auch wieder.«
    Ich deutete auf seine rechte Hemdbrust. Dort war etwas festgeklammert worden. Es bestand aus Stoff und sah bauschig aus. »He, das Ding hattest du vorhin noch nicht.«
    »Stimmt.«
    »Und was ist das?«
    »Der Sack.«
    Ich hätte mich fast an meinem Braten verschluckt. »Wie... äh... wieso Sack?«
    »Ganz einfach, John. Ich bin fünfzig Jahre geworden. Und damit ist man im Club der alten Säcke.« Er strich mit zwei Fingern über den schwarzen Sack hinweg. »Und den bekommt man als Ehrenabzeichen.«
    Ich hatte begriffen, fragte aber weiter. »Und was kriegt man dann mit sechzig? Den uralten Sack oder...«
    Harry’s Lachen unterbrach mich. » Sorry , das kann ich dir nicht sagen. Ich weiß nur, dass die Frauen mit fünfzig Jahren in den Club der alten Schachteln kommen. Ansonsten lasse ich mich überraschen.«
    »Ja, tu das.«
    »Und dir schmeckt’s?«
    »Super.«
    »Okay, die ersten Gäste werden sich verabschieden wollen. Lass dich nicht stören, John, auch wenn gleich die Abräumerinnen kommen. In einer Stunde sitzen wir gemütlich beisammen.«
    »Klasse.«
    Mein deutscher Freund und auch Kollege hatte nicht zu viel versprochen. In der Zeitspanne saßen wir tatsächlich zusammen. Zwei Frauen waren noch dabei, die letzten Überreste wegzuräumen. Sie hatten alles in große Kisten gepackt und nur die Lebensmittel zurückgelassen.
    Durch die offene Balkontür strömte frische Luft, die uns allen gut tat. Dagmar und Harry hingen mehr in ihren Sesseln, als dass sie saßen. Feiern kann ja so anstrengend sein.
    »Durchatmen, Freunde«, sagte ich, »denk daran, Harry, du bist jetzt nicht mehr der Jüngste.«
    »Danke. Auf das Kompliment habe ich richtig gewartet. Das musste ich mir schon von Dagmar anhören. Fehlt nur noch der Rollstuhl, dann ist der Mann für’s Altenteil fertig.«
    Dagmar streichelte ihrem Freund über das Haar, nachdem sie die Balkontür zugedrückt hatte. »Nimm’s nicht so tragisch, Harry. Wer dieses Alter erreicht, der hat natürlich mit einer gewissen Ironie und einem leichten Spott zu rechnen. Mit fünfzig sind andere Menschen schon Großväter, aber

Weitere Kostenlose Bücher