Die gläserne Welt
vorbeigefahren. Den zweiten Teil ihres Weges legten sie ohne Kopf zurück ... ›wenn Gloria mich nicht haben will‹, dachte er, ›werde ich wohl in meinem Schaffen noch kapriziöser werden!‹
Er kehrte in London bei einem befreundeten Schriftsteller, Mr. Tobin, ein. Mit Staunen bemerkte er, daß man ihn hier schon erwartet hatte, obwohl er doch, wie er glaubte, ganz überraschend gekommen war.
Tobins Gattin drückte ihm überlegen lächelnd die Hand. »Wir wissen alles!« sagte sie spöttisch, »sehen Sie dort! Die Lösung des Rätsels, das Ihnen auf der Stirn geschrieben steht.«
Auch Tobin, der neben den beiden stand, lachte. Milton erblickte den Apparat und zuckte zusammen. »Ein Lauschgerät!« kam es ihm leise über die Lippen.
»Bei uns«, erklärte der Schriftsteller, »ist so etwas gar nichts Besonderes mehr. Du glaubst ja nicht, welche Bedeutung das Ding da für mich schon gewonnen hat! Es ist eine Gabe des Himmels, sage ich dir. Alles, was früher die Romanciers schilderten, haben sie zum größten Teil aus der Fantasie schöpfen müssen. Heute, mein Lieber, bringen wir die Wirklichkeit. Heute steigen wir unseren Helden und Heldinnen persönlich in die Hirndachstuben, wir irren nicht mehr in falschen Vorstellungen herum. Heute erschließt sich uns eine neue, – erschließt sich uns die Gedankenwelt. Das gibt eine Revolution der Erzählungskunst. Gott gnade dem, der hier den Anschluß verpaßt!«
Milton hörte der Rede des Freundes mit Staunen zu. Aber er kann sich nicht sammeln, er ist verwirrt. Er schlägt vor Frau Tobin die Augen nieder, als stehe er nackt da. Denn – hatte sie ihn nicht auch nackt gesehen, wenigstens in seinen Gefühlen? Sie hatten ihn doch belauscht, – sie wußten also, wie Frau Tobin selber gestanden hatte, schon alles! Mußte ihm das nicht höchst peinlich sein?
»Von hier aus also willst du deine Gloria belauschen?« sagte der Romancier, – »das haben wir übrigens auch schon getan, meine Frau und ich. Aber wir haben nicht viel anderes dabei vernommen, als in den Zeitungen steht.«
Milton zuckte zusammen. ›Deine Gloria‹ hatte William gesagt. Sollte das Spott sein? Ha! Warte, Bursche, auch dich werde ich unter die Lupe nehmen!
Er fieberte schon darauf, sich die Kontakte an die Schläfen zu legen. Aber er durfte nicht unhöflich sein. Er mußte sich erst noch sein Zimmer zeigen lassen, mußte die beiden Kinder bestaunen und viele Fragen beantworten, aus denen hervorging, daß sie doch noch nicht ›alles wissen‹ konnten. Oder taten sie nur aus Höflichkeit so?
Dem Maler fiel die große Harmonie auf, in der das Ehepaar lebte. Wenn er sich recht besann, war das einmal anders gewesen. Ja – hatte Tobin nicht sogar schon einmal an eine Trennung von seiner Frau gedacht?
Die Erklärung ergab sich aus der Taftschen Erfindung. »Seit wir den Kasten haben«, bemerkte Tobin, »ist alles gut. Sämtliche Meinungsverschiedenheiten und Irrtümer konnten restlos aufgeklärt werden. Meine Frau konnte sich an der Quelle selbst überzeugen, daß ihre Eifersucht lächerlich war. Und ich durchschaute die Gründe, aus denen heraus sie auch sonst noch bisweilen heftig gegen mich eingestellt war. Sie hatte mir das aus Taktgefühl nicht zu sagen gewagt. Oft hängt ja vor unserem Wollen ein Schleier der falschen Scham. Mir übrigens war es kaum anders ergangen. Aber das alles war dann wie weggeblasen. Wir durchschauten uns bis auf die Urgründe unserer Seelen. Wenn uns jetzt irgendwie wieder einmal ein Mißtrauen ankommen will, setzen wir uns vor das Ding da, und glaube mir: in Sekundenschnelle ist alles aufgeklärt.«
Milton mußte nach diesen Worten in dem Gerät ein wahres Wunder erblicken. Ob es jetzt bei den Besitzern der Apparate tatsächlich nur noch glückliche Ehen gab –?
Tobin schien seine Gedanken erraten zu haben. »Glaube nicht«, sagte er, »daß sich das überall so entwickelt hat. In vielen Fällen hat das Gerät auch zum Bruch geführt, – nämlich überall da, wo tatsächlich etwas Unrechtes oder eine wirkliche unausrottbare innere Abneigung vorlag. Aber auch da hat das Gerät immer zu einer raschen und restlosen Aufklärung beigetragen.«
»Und wie«, fragte Milton, als die Kinder gegangen waren, »wie wirkt sich bei den Kindern die Anwendung des Gerätes aus?«
»Gerade in dieser Beziehung«, erwiderte Mrs. Tobin mit leuchtenden Augen, »können wir über das Ergebnis gar nicht froh genug sein. Da die Kinder wissen, daß wir sie stets belauschen können,
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