Die Glasblaeserin von Murano
Quecksilber?» In letzter Zeit litt Corradino sehr unter einem bellenden Husten, der darauf hindeuten konnte, dass seine Lungen durch die Quecksilberdämpfe geschädigt waren, die sich bei der Versilberung der Spiegel entwickelten. Das wäre kein Wunder, da Corradinos geheime Kammer keinen Abzug besaß und er den Dämpfen schutzlos ausgesetzt war. Erst eine Woche zuvor hatte Giacomo darauf bestanden, dass sich sein Freund zur Vorbeugung gegen die Lungenkrankheit vier Pfefferkörner unter die Zunge legte - wie alle Venezianer hatte auch Giacomo gewaltigen Respekt vor den geheimnisvollen Gewürzen des Orients. Doch er ahnte, dass auch Gewürze eine Quecksilbervergiftung nicht verhindern konnten. Der Silberteufel brachte die meisten Glasbläser ins Grab - am Ende wurden sie das Opfer ihrer Kunst. Bei Giacomos Worten schüttelte Corradino aber heftig den Kopf, dann blickte er ihn mit fiebrig wirkenden Augen an. «Ich bin gekommen, um ...», begann er, verstummte jedoch wieder.
Giacomo packte Corradino beim Arm und zog ihn neben sich auf die Bank. «Beruhige dich doch, Corradino mio. Was wolltest du sagen? Bist du in Schwierigkeiten?»
Corradino stieß ein freudloses Lachen aus und schüttelte erneut den Kopf. «Ich bin hergekommen ... Du sollst wissen ... Ach, es gibt so viel, was ich dir nicht erzählen kann!» Er holte tief Luft. «Ich wollte dir nur sagen, dass ich dir alles verdanke, sogar mein Leben. Du bist für mich wie ein Vater und hast mich mehr als einmal gerettet. Mir ist bewusst, dass ich das alles niemals gutmachen kann. Ich möchte, dass du nie schlecht von mir denkst - was immer auch mit mir geschehen mag.» Ungestüm ergriff er die Hände des alten Mannes. «Versprich mir das - dass du versuchen wirst, nie schlecht von mir zu denken.»
«Aber Corradino, natürlich werde ich nie schlecht von dir denken! Warum bist du nur so aufgeregt?»
«Noch eines. Falls du irgendwann einmal Leonora sehen solltest, sag ihr, dass ich sie stets geliebt habe und noch immer liebe.»
«Corradino ...»
«Versprich es!»
«Ich verspreche es. Aber bitte erkläre mir doch, was das alles soll. Was ist heute Abend bloß los mit dir? Was hast du vor?»
«Ich habe nichts vor. Gar nichts. Ich ...» Wieder stieß Corradino ein kurzes, verzweifeltes Lachen aus, ließ den Kopf sinken und vergrub die Finger in den dunklen Locken. Dann fuhr er in etwas ruhigerem Ton fort: «Verzeih mir. Ich bin nur etwas durcheinander. Diese schwarzen Gedanken kommen vom Mond, der heute Nacht so voll scheint.»
Giacomo blickte hinaus und sah, dass der Mond in der Tat fast voll und von seltsamer Farbe war. Vielleicht rührte daher auch seine eigene Furcht. «Ja, mir ging es vorhin ebenso. Komm, lass uns noch etwas trinken und die Hirngespinste verscheuchen.»
Corradino winkte ab. «Ich muss gehen. Aber bitte vergiss nicht, was ich gesagt habe.»
Giacomo zuckte die Schultern. «Nein, das werde ich nicht vergessen. Bestimmt nicht. Wir sehen uns dann morgen in der Fondaria.»
«Richtig. Bis morgen dann, in der Fondaria.»
Sie umarmten sich fest und innig. Dann war Corradino fort und Giacomo wieder allein. Er starrte in die Nacht hinaus und fragte sich, ob in den Augen seines Freundes wirklich Tränen geglitzert hatten. Das ganze Gespräch war ihm vorgekommen wie ein Abschied für immer.
Und genau das war es tatsächlich gewesen. Als Corradino am nächsten Morgen nicht in der Fondaria erschien, kam Giacomo ein furchtbarer Verdacht. Unverzüglich machte er sich auf den Weg zu Corradinos Häuschen. Er rannte, so schnell ihn seine alten Beine tragen wollten, trat ohne anzuklopfen ein und ging direkt in den hinteren Raum, das Schlafzimmer. Dort fand er seine Vermutung bestätigt. Sein Freund lag vollständig bekleidet und reglos auf dem Bett. Zuerst fürchtete Giacomo, Corradino habe sich das Leben genommen und sich deshalb am Abend zuvor von ihm verabschiedet. Doch dann erblickte er durch seinen Tränenschleier den verräterischen schwarzen Strich, der vom Mundwinkel seines Freundes bis hinunter zur Bettdecke verlief. Er drehte eine von Corradinos kalten Händen um - auch die Fingerspitzen waren schwarz. Schon viel zu oft in seinem Leben hatte Giacomo diese Zeichen gesehen. Quecksilber. Die Seuche der Glasbläser hatte auch Corradino dahingerafft. Giacomo setzte sich ans Fußende des Bettes und weinte.
Er hat es gewusst.
Corradino musste gewusst haben, dass er nicht mehr lange zu leben hatte, und hatte seinem Freund gestern bei seinem
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