Die Glasblaeserin von Murano
indirekt auch dazu geführt, dass er sein größtes Kunstwerk schuf - Leonora. Das Geheimnis war niemals schriftlich festgehalten worden, noch nicht einmal in seinem Büchlein aus Pergament. Nur er allein kannte es. Doch nun wollte der König von Frankreich es ihm abkaufen, und das brachte den Maestro in eine schwierige Lage.
Ich habe mir geschworen, das Geheimnis mit ins Grab zu nehmen. Womöglich werde ich diesen Schwur morgen erfüllen.
Kapitel 17
Das Treffen
Vittoria Minotto war gespannt. Das kam bei ihr nicht allzu oft vor. Eine gewisse Neugier war ihr zwar von Berufs wegen angeboren, doch gab es nicht viel, was ihr persönliches Interesse weckte. Als Treffpunkt hatte sie das noble Cafe «Florian» vorgeschlagen. Wenn sie schon die Kosten übernehmen musste, dann wollte sie die Situation wenigstens genießen.
Vittoria betrat den berühmten in Grün und Gold gehaltenen Salon und setzte sich an einen der vorderen Tische, wo er sie sofort sehen konnte. Sie bestellte sich einen sündhaft teuren caffe americano und zündete sich eine Zigarette an. Dann hielt sie durch das Fenster Ausschau nach ihrem Gesprächspartner. Ob er das war? Der junge, gut aussehende Mann, der auf das Cafe zukam, scheuchte mit seinen forschen Schritten die Tauben auf. Das wurde ja immer besser.
Er hatte sie gleich erspäht. «Signorina Minotto?» Es war dieselbe Stimme wie am Telefon. Tief, drängend und aufgeregt.
Sie senkte kurz den Kopf und blies dabei den Rauch aus. «Si.»
Er setzte sich und steckte sich, ohne um Erlaubnis zu fragen, eine Zigarette an. Er gefiel ihr auf Anhieb.
«Ich weiß etwas, das Sie interessieren könnte. Über Leonora Manin. Eigentlich eher über Corrado Manin. Das könnte eine wirklich gute Story werden.»
Da war es wieder. Dieses Wort, das sie so liebte, für das sie lebte. Dieses Wort, das sie schon als kleines Mädchen, gegen die Knie des Vaters gelehnt, gefangen nahm. Wie hatte sie gebettelt, noch mehr und immer mehr hören zu dürfen!
Eine Story. Eine Geschichte. «Schießen Sie los.»
Kapitel 18
Non omnis moriar
Giacomo del Piero schaute aus seinem Fenster über den Kanal von Murano. Weil er sicher war, draußen etwas gehört zu haben, hielt er seine Kerze hoch und spähte in die Dunkelheit hinaus. Doch er konnte nichts erkennen außer seinem eigenen Spiegelbild, vielfach gebrochen durch die kleinen bleigefassten Scheiben. Und sein Spiegelbild zeigte einen alten Mann.
Giacomo wandte sich ab und überlegte, was er jetzt tun sollte. Wahrscheinlich hätte er gut daran getan, etwas zu essen - in der Speisekammer gab es noch ein Stück von der guten Bologneser Wurst und einen Krug Wein. Doch aus irgendeinem Grund hatte er keinen Appetit. Je älter er wurde, desto weniger Nahrung benötigte er. Dafür wurden ihm andere Dinge immer wichtiger - seine Bücher, seine Arbeit, seine Freunde. Er musste an Corradino denken, der im Laufe der Jahre wie ein Sohn für ihn geworden war. Vielleicht sollte er zu Corradinos Häuschen hinübergehen und den Wein mit ihm teüen. Nein, der Junge war sicherlich erschöpft von seiner Arbeit für diesen mysteriösen Kunden, Maestro Domenico vom Teatro Vecchio. Giacomo hatte den Mann noch nie gesehen, doch er wusste, dass Corradino den ganzen Tag in der Fondaria mit seinem Auftrag beschäftigt gewesen war. Möglicherweise war Corradino auch jetzt noch nicht zu Hause.
Giacomo nahm seine alte Viola und den Bogen zur Hand, und kurz darauf erklang eine schwermütige Volksweise aus dem Veneto, die zu seiner Stimmung passte. Eine dunkle Vorahnung, die er sich nicht zu erklären vermochte, lag ihm auf der Seele und machte sein Herz schwer. Diesem Gefühl war es zu verdanken, dass er wieder und wieder nervös aus dem Fenster geschaut hatte, seit er aus der Fondaria nach Hause gekommen war.
Er war daher nicht überrascht, als er ein gedämpftes Klopfen an der Tür vernahm. Behutsam stellte er die Viola ab. Plötzlich überkam ihn die grauenvolle Vorstellung, dass er dem leibhaftigen Tod die Tür öffnete, der gekommen war, um ihn zu holen. Doch die Gestalt vor der Tür war nicht der Tod. Es war Corradino.
Sie begrüßten einander wie üblich mit einem herzlichen Kuss, aber Giacomo merkte sofort, dass sein Freund ungewöhnlich aufgeregt war. Corradino konnte keinen Augenblick stillhalten. Als Giacomo ihm Wein anbot, winkte er zuerst ab, nahm dann doch einen Becher und stürzte den Wein in einem Zug hinunter.
«Was ist mit dir, Corradino? Hast du Fieber? Liegt es am
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