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Die Glasblaeserin von Murano

Die Glasblaeserin von Murano

Titel: Die Glasblaeserin von Murano Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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hasst er Corradino und mich? Und was zum Teufel meinte er mit Verrat - und der Sache mit Frankreich? Ich dachte immer, Corradino sei hier gestorben.»
    Adelino nickte. «Aber sicher ist er hier gestorben, an einer Quecksilbervergiftung. So steht es in allen Geschichtsbüchern.»
    Leonora versuchte, ihre Gedanken zu ordnen und alles zu verarbeiten, doch die Geschichten über Corradino verwirrten sie. Schließlich nickte sie mechanisch. «Ja», sagte sie, «dann muss es wohl stimmen ...»
    Adelino kam zu ihr herüber und berührte sie sanft an der Schulter. «Hören Sie, Leonora, warum nehmen Sie sich nicht den Rest des Tages frei? Ich werde hier für Ruhe sorgen. Kommen Sie morgen früh um die übliche Zeit wieder. Dann wird die ganze Aufregung vorüber sein. Morgen ist ein wichtiger Tag, die ersten Zeitungsanzeigen erscheinen. Ruhen Sie sich heute ein wenig aus.»
    Leonora war ihm dankbar für seine Freundlichkeit. Sie fühlte sich schon besser, doch wenn sie daran dachte, was ihr noch bevorstand, drehte sich ihr förmlich der Magen um. Mit unsicheren Schritten trat sie hinaus ins Sonnenlicht und machte sich auf den Weg entlang der Fondamenta Manin zum Bootsanleger. Dieses Mal war ihr der vertraute Straßenname kein Trost. Niedergeschlagen blickte sie auf das ausgeblichene Straßenschild. «Corradino, was hast du nur getan?»
     

Kapitel 16
    Das Obsidianmesser
    Und nun noch das Messer.
    Die Glasmesser, die Corradino für die gedungenen Mörder der Zehn anfertigte und die so mühelos die Haut durchdrangen, taugten nicht für seine Zwecke. Eiszapfen gleich hingen sie auf extra dafür angefertigten Gestellen an den Wänden der Fondaria, glitzernd und kalt wie der Tod selbst. Dass sie in so großer Zahl hergestellt wurden, hatte seinen Grund: Man konnte sie nur einmal benutzen. Sie waren so gearbeitet, dass der Griff    abbrach, sobald das Messer in den Körper eingedrungen war. Die Einstichwunde schloss sich dann über der Klinge, und nichts gab mehr Aufschluss darüber, wie das Opfer zu Tode gekommen war. Denjenigen unter den Angehörigen, die auf einer Leichenschau bestanden, ließ der Rat durch das Glasmesser eine nachdrückliche Warnung zukommen. Corradino wusste, dass die dunklen Gestalten, die im Dienst der Zehn unterwegs waren, sich mit Vorliebe seiner Klingen bedienten.
    Zuweilen musste er, wenn er die tödlichen Waffen schliff, an die Männer denken, die ihr Leben aushauchen würden, nachdem die Klinge ihr Fleisch aufgeschlitzt, Muskeln und Sehnen zertrennt und die Adern zerrissen hatte. Dann suchte ihn das Wehklagen der Frauen und Kinder, denen man ihre Männer und Väter genommen hatte, in seinen Träumen heim. Er war selbst seiner Eltern beraubt worden, er wusste, wie sich das anfühlte. Doch er ahnte auch, dass er keine andere Wahl hatte.
    Wenn ich mich weigern würde, diese Messer anzufertigen, wäre mein eigenes Leben verwirkt.
    Corradino versuchte, seine Schuld ein wenig zu mildern, indem er die Klingen so dünn, glatt und stark machte wie nur möglich. Wenn er schon bei einer Bluttat den Handlanger spielen musste, dann wollte er dem Opfer wenigstens unnötige Qualen ersparen.
    Die Fondaria lag verlassen da, alle Vetraie waren schon nach Hause gegangen - auch Giacomo, dem das Alter allmählich zu schaffen machte. Corradino war allein mit den funkelnden Klingen, den armlosen Rümpfen der candelabri, die auf ihre Vollendung warteten, und den glänzenden Pokalen, die beim Abkühlen leise sangen. Er blickte sich in der geräumigen Werkstatt um, die ihm seit nunmehr zwanzig Jahren ein Zuhause war. Es war kühl hier, jetzt,    da die Feuer nicht mehr brannten. Corradino vergewisserte sich noch einmal, ob die Arbeiter auch wirklich fort waren, dann zündete er eine Kerze an. Anschließend öffnete er die Tür eines Glasofens, der in die Wand eingelassen und seit Jahren nicht mehr in Gebrauch war. Er stieg den schwarzen Schlund hinab, und wenig später knirschten unter seinen Füßen die Scherben alter Becher und Leuchter, die man hier hineingeworfen hatte. Corradino tastete ein wenig über die gemauerte Hinterwand, bevor er den Metallhaken fand. Einmal daran ziehen genügte, und eine verborgene Tür sprang auf. Als er den dahinter liegenden Raum betrat, überkam ihn sofort ein heimeliges Gefühl. Mit sicherer Hand entzündete er die Kerzen eines vielarmigen Leuchters. Im warmen Kerzenschein ähnelte der Raum eher einem eleganten venezianischen Salon als einer geheimen Werkstatt. In einer Ecke stand ein mit

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