Die Glasprobe und andere zerbrechliche Geschichten
die rutschende Hose festhielt. Der Minister für Gesang trat schlotternd aus seinem Versteck hervor und stammelte: „Jeder, der seinen Gesang so vorträgt, daß der König vom ersten bis zum letzten Ton munter bleibt..., hat einen Wunsch frei. So lautet die Verordnung.“
„Jawohl“, sagte der lange Schuster erfreut. „Drum laßt mich rasch überlegen. Vielleicht ist eine Prinzessin zu haben? Oder nehme ich lieber den Palast? Oder am Ende gar die Krone?“
Entsetzt wichen die Minister zurück.
Doch der König hatte seine Stimme und seine Lederhose wieder in der Gewalt. Er sah den Schuster aus kalten Augen an und sagte: „Schluß mit dem Spuk! Meinst du etwa, ich lasse mir von einem dahergelaufenen Burschen auf der Nase
herumtanzen? Dir werde ich beibringen, wer hier das Sagen hat. Ab ins Loch!“
„Ich fordere freies Geleit!“
„Lächerlich.“
„Aber Euer Befehl“, stammelte Albrecht fassungslos. „Ich habe ihn schwarz auf weiß gelesen. Und das königliche Siegel war auch auf dem Papier.“
„Was geht mich eine Order an, wenn sie mir Schaden zufügt?“ erklärte der König. „Der Befehl ist hiermit aufgehoben!“
„Aufgehoben“, echoten die Minister.
Konrad griff aus einer goldenen Schale ein Konfekt. Umständlich wickelte er das Zuckerwerk aus dem Stanniolpapier, schob es in den Mund und sagte: „Höchste Zeit, daß in der Verwaltung mal wieder gründlich aufgeräumt wird. Der Minister für Gesang ist abgesetzt! Zum neuen Gesangsminister ernenne ich... den Minister für Finanzen. Dafür leitet der Glas- und Gebäudereinigungsminister nun das Finanzministerium.“
„Und wer übernimmt das Reinlichkeitsministerium?“ fragte der abgesetzte Minister für Gesang kleinlaut.
„Das ist mit sofortiger Wirkung aufgelöst. Dafür wird ein Ministerium für Gardinenbeschaffung eingerichtet.“ In diesem Augenblick bemerkte der König, daß Albrecht noch immer im Thronsaal stand. Zornig herrschte Konrad der Erste und Einzige die Wachsoldaten an: „Wieso sitzt der Strolch noch nicht im Kerker?“
„Wenn ich mir untertänigst eine Bemerkung erlauben darf“, flüsterte der Hauptmann der Wache hinter vorgehaltener Hand. „Die Zeiten haben sich geändert. Wir leben nicht mehr hinter schützenden Spiegeln.“
Als Konrad aufsah, bemerkte er, daß aus allen Himmelsrichtungen Leute zum Palast gelaufen kamen, ihre Nasen gegen das Glas drückten und dem Schuster Albrecht freundlich zuwinkten. „Unter diesen Umständen“, sagte der Hauptmann, „wäre es nicht ratsam, dem Burschen Ketten anzulegen oder ihm auch nur ein Haar zu krümmen. Es könnte ein Tumult entstehen, ein Aufstand gar...“
„Schweig!“ sagte der König, ließ die zerbeulte Krone um seinen ausgestreckten Zeigefinger kreisen, knirschte dazu vernehmbar mit den Zähnen, gab der Palastwache jedoch ein Zeichen, sich zurückzuziehen. „Verschwinde, Stiefelklopfer, und laß dich hier nie wieder blicken!“
Albrecht, der lange, sommersprossige Schuhmacher, ging auf die Pforte zu, drehte sich, als er sie erreicht hatte, auf dem Absatz um und sagte: „Ja, Herr König, da hat wohl jeder von uns beiden auf seine Art Glück gehabt. Schuster-traue keinem König!... Aber halt, da ist ja noch mein Lied. Bald werden es die Spatzen von den Dächern pfeifen. Gebt nur fein acht, daß Euer Glasschloß nicht eines Tages in tausend Scherben zerspringt.“ Und er trat hinaus zu seinen Leuten, die ihn in ihrer Mitte aufnahmen.
Narrenspiel bei Hofe
Ein alternder König, der seine Tochter mit einem wohlhabenden Mann verheiraten wollte, beschloß einst, in seinem Palast ein prunkvolles Fest zu feiern. An einem Frühlingsvormittag, werktags Schlag neun Uhr, befahl er seine Bediensteten in den Ballsaal und machte sie mit den Einzelheiten seines Vorhabens vertraut: „Zu diesem Fest laden wir alle Nachbarn ein, die für die liebreizende Prinzessin als Ehemann in Frage kommen. Aus dem Nordreich den Edelmann Ehrenfried, aus dem Südreich den Fürsten Frieder, aus dem Ostreich den Grafen Gernot und aus dem Westreich den Prinzen Petermann.“
Augenblicklich entfernte sich der Privatsekretär des Königs, um die Einladungen zu diktieren und sie den Auserwählten auf schnellstem Wege zuzuleiten. Er war in solchen Belangen nicht ganz ungeübt, schließlich hatte er in den vergangenen Jahren auf Geheiß seines Herrn bereits unzählige Heiratsannoncen entworfen und sie an die einschlägigen Zeitungen weitergeleitet: „Prinzessin, gutaussehend, mit Sinn für
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