Die Glorreichen Sieben 05 - und Der doppelte Schluessel
sei.“
„Welcher Fall soll erledigt sein?“
„Die Reform, von der Sie vorhin gesprochen haben“, erwiderte Emil. Er kam jetzt immer mehr in Fahrt. „Schön und gut, die Lehrer thronen nicht mehr über uns auf einem Podium, wir haben keine Bänke mehr, sondern Stühle, Tische und eine neue Wandtafel. Aber das ist doch nur die Verpackung. Damit ändert sich doch nichts an dem, was in der Kiste drin ist!“
Die Klasse hatte die Englischbücher zur Seite geschoben und hörte aufmerksam zu. Jetzt fragte Hans Pigge ein wenig vorlaut: „Und was ist denn drin in deiner Kiste?“
„Die Spielregeln sind drin“, antwortete Emil. „Und leider sind sie nicht in Ordnung.“
„Würdest du uns genauer verraten, was du meinst?“ äußerte sich der Studienrat.
„Daß zum Beispiel Zeugnisse nicht in jedem Fall gerecht sind“, erklärte Emil gelassen.
„Sehr interessant“, meinte Purzer und blickte auf seine Armbanduhr. „Aber wir wollen unsere Unterhaltung vorerst auf zehn Minuten beschränken, einverstanden?“
„Es geht sogar kürzer“, entgegnete der Klassensprecher. „Ich möchte den Unterricht nicht aufhalten.“
„Sehr freundlich von dir“, stellte der Lehrer fest, schlug die Arme übereinander und war zum Zuhören bereit.
„Wenn ein Schüler mit zwei Fächern baden geht, wird er nicht versetzt“, erklärte Emil und blickte fragend auf. „So ist es doch?“
„Stimmt, wenn man die Sache vereinfacht“, erwiderte Purzer.
„Und das ist nicht in Ordnung, wie ich bereits gesagt habe“, stellte Emil fest. „Vielleicht stimmt es für die Mehrzahl und für den Durchschnitt. Aber wenn ein Schüler eine ganz bestimmte und einseitige Begabung hat, dann ist es ungerecht.“
„Sehr richtig“, ließ sich Karlchen Kubatz hören. „Einstein wäre an unsrer Schule durchs Abitur gerasselt, daß es nur so geraucht hätte, und ein gewisser Thomas Alva Edison wäre vor lauter Sitzenbleiben nie zum Erfinden der Glühlampe gekommen!“
„Haben wir etwa einen künftigen Einstein unter uns?“ fragte Herr Purzer und blickte sich um.
„Das mußte ja kommen“, schimpfte Karlchen Kubatz.
„Und trotzdem, wer garantiert denn dafür“, mischte sich Sputnik ein, „daß nicht vielleicht doch in irgendeinem Klassenzimmer so was wie ein neuer Picasso an seinen Fingernägeln nagt oder ein zweiter Schiller, irgendwas Ähnliches wie Beethoven, Daimler und Benz, Flemming, Zeppelin...“
„Möglich ist alles“, bemerkte der Studienrat, ohne eine Miene zu verziehen.
„Jetzt quatscht nicht so unterbelichtet“, schaltete sich Emil Langhans wieder ein. „Es geht doch nur darum, daß unsre Köpfe nicht vom Fließband kommen und ein Gehirn nicht wie das andere ist. Manche Schüler sind in Deutsch die Klassenbesten und in Mathematik vernagelt wie eine Baubude. Oder sie sind Spitze in Chemie und bei Latein so bescheuert wie ein offenes Scheunentor. Die können büffeln, bis sie schwarz werden, aber es ist vollkommen sinnlos.“ Er drehte den Kopf und blickte absichtlich zu Manuel Kohl hinüber. „Der Durchschnitt, und dazu gehören die meisten von uns, ist ganz normal und gleichmäßig auf hundertzehn Volt geschaltet. Aber bei den anderen funkt es auf der einen Seite mit zweihundertzwanzig Volt und auf der anderen Seite überhaupt nicht. Keine Zeugniskonferenz nimmt darauf Rücksicht. Die Minderheit wird einfach in den großen Kuchen hineingebuttert.“
Die Klasse scharrte zustimmend mit den Füßen, und einige pfiffen sogar leise durch die Zähne.
Karlchen Kubatz sprang auf, wartete, bis sich die 9 B wieder beruhigt hatte, und erklärte dann: „Jährlich gibt es in unserem Land etwa fünfzigtausend Sitzenbleiber. Darunter sind mindestens zehn oder sogar zwanzig Prozent, die für zwei lausige Spezialfächer einfach keine Antenne haben. Sie könnten dieses Minus mit ihren übrigen Noten bequem ausgleichen, aber die Spielregeln erlauben das nicht.“
Studienrat Dr. Purzer hörte aufmerksam zu.
„Und eine Zwei, eine Drei oder eine Fünf müssen ja nicht immer der einzig wahre Jakob sein“, fuhr der kleine Junge mit dem Bürstenhaarschnitt fort. „Eine Statistik behauptet, daß in den deutschen Schulen an jedem Tag mindestens fünf Millionen Zensuren erteilt werden, und Lehrer sind ja auch Menschen mit unterschiedlichen Ansichten und auch mit unterschiedlichen Stimmungen. Mal sind sie ganz prima aufgelegt, und ein anderes Mal sind sie stocksauer, weil ihrer Frau beim Frühstück die Milch angebrannt ist oder
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