Die Glorreichen Sieben 05 - und Der doppelte Schluessel
verderben!“ Purzer schüttelte wieder einmal den Kopf. „Tz, tz, tz, es gibt Schlimmeres im Leben, oder?“
„Yes, Sir“, antwortete Emil Langhans knapp.
Der Studienrat lachte und verschwand.
Die nächste Stunde gehörte Studienrat Fink. Er war einer der beliebtesten Lehrer und gab in der 9 B Geographie. Obgleich er persönlich nie über Florenz hinausgekommen war, weil er dort immer in derselben Pension seine Schulferien verbrachte, erzählte er von der ganzen Welt, als würde er sich an jedem Breiten- und Längengrad zu Hause fühlen wie in seinen eigenen Hosentaschen. Heute war Brasilien an der Reihe. Über die unendliche Größe des Landes und seine Städte hatte Studienrat Fink schon in der letzten Stunde gesprochen. Heute machte er mit der 9 B einen „Klassenausflug“ zum Amazonas und kroch mit ihr durch das dichte Unterholz des Dschungels zu den letzten Indios und ihren mit Bananenblättern gedeckten Hütten.
„Eigentlich ganz lustig“, bemerkte Studienrat Fink, als er sich zwischendurch einmal in dem veränderten Klassenzimmer umblickte. „Die achten und die siebten Klassen sollen auch schon ummöbliert sein. Na ja...“ Das war alles, was er zu den neuen Tischen und Stühlen zu sagen hatte.
Während der ganzen Stunde war die 9 B so aufmerksam und artig wie eine Versammlung von preisgekrönten Musterschülern. Als es läutete, saß sie noch eine ganze Weile schweigend da. Wie im Kino, bevor es nach dem Film allmählich wieder hell wird.
Hinterher war die Klasse dann allerdings wie ausgewechselt, und leider zeigte sie sich jetzt von ihrer Schattenseite.
Herr Bissegger hatte gerade sein Staatsexamen hinter sich und war vor etwa einem Monat als Referendar auf die Schüler des Prinz-Ludwig-Gymnasiums losgelassen worden. Zuerst in der Begleitung eines erfahrenen Lehrers, der sich jeweils in den Rücken der Klasse gesetzt hatte, und seit einer guten Woche mutterseelenallein. Er trug eine randlose Brille, war das hundertprozentige Gegenteil eines Ellbogentyps und beschäftigte sich in seiner Freizeit vermutlich mehr mit Büchern als mit Fußbällen und Reckstangen. Er war die Bescheidenheit in Person und gehörte wahrscheinlich zu jener Art von Zeitgenossen, die am Rand eines Schwimmbeckens mit dem großen Zeh ängstlich nach der Temperatur forschen, bevor sie ins Wasser klettern.
„Eine ausgemachte Flasche“, lautete das vernichtende Urteil der halben Schule bereits nach den ersten Tagen.
„Und Zensuren darf er sowieso nicht geben, dazu ist er noch zu grün“, hatte ein Junge mit einem roten und pickligen Gesicht aus der Oberstufe erklärt. „Er ist also so ungefährlich wie eine Gartentür.“
Damit war der junge Referendar im Handumdrehen zum Freiwild erklärt.
Als er jetzt zur 9 B hereinkam, rührte sich die Klasse überhaupt nicht. Niemand beantwortete seinen Gruß, man zeigte ihm den Rücken und dachte nicht daran, sich bei der Unterhaltung auch nur im geringsten stören zu lassen. Der Referendar war Luft für die 9 B.
Der Schüler mit den Sommersprossen um die Nase wollte beweisen, daß ein Handstand ohne Anlauf möglich ist, und ging auf den Händen zwischen den neuen Tischen hin und her. Ein anderer Schüler mit einem quergestreiften Pullover packte seine Füße und ließ ihn nicht mehr los, bis ihm der Zappelnde mit dem Schuh dicht vors Kinn kickte. Manuel Kohl lag über seinem Tisch, das Kinn auf die Arme gestützt und träumte mit offenen Augen zum Fenster hinaus. Andere hatten möglichst große Bücher aufgestellt, verschanzten sich hinter ihnen oder hinter dem Rücken ihres Vordermanns, um sich, in Erwartung der Klassenarbeit nach der Pause, schnell noch einmal das Konstruieren von Neigungswinkeln oder das Berechnen von Differentialquotienten einzutrichtern.
Auch Manuel Kohl dachte an nichts anderes als an diese verdammte Klassenarbeit, die mit jeder Minute bedrohlich näher kam. In einer Art von Panik spielte er mit dem Gedanken, für den äußersten Notfall die wichtigsten Zahlen und Gleichungen auf die Rückseite seines Lineals oder seines Radiergummis zu schreiben. Vielleicht auch auf die nackte Haut seines Unterarms. Wenn er dann im richtigen Augenblick den Pullover vorsichtig zurückstreifte, hatte er vielleicht die Lösung direkt vor Augen. Aber auch ein Tempotaschentuch bot sich an, das man zerknüllt in der Hosentasche parat hatte und im entscheidenden Moment benutzen konnte. Oder die Innenseite seines Gürtels. Aber dann schob sich ganz plötzlich das Bild von
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