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Die Glücksparade

Die Glücksparade

Titel: Die Glücksparade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Martin Widmann
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Weg zur Arbeit machte.
    «Nimm doch Paul Simon», sagte er. Er war damit beschäftigt, seine Arbeitsschuhe anzuziehen.
    «Wer ist das denn?», fragte ich.
    Er lockerte die Laschen und Schnürsenkel, ehe er den Fuß hineinschob in den Schuh und ihn mit beiden Händen über die Ferse zog.
    «Die Hälfte von Simon & Garfunkel», sagte er. «Aber die bessere Hälfte. Er hat die Lieder geschrieben.»
    Ich nickte. Den Namen hatte ich schon gehört. «Kenn ich was von denen?», fragte ich.
    «Bestimmt», sagte mein Vater. Er sang ein bisschen, aber nicht richtig, sondern so, als würde er mit verstellter Stimme sprechen. «Leilalei leilaleilaleilalei leilalei.»
    Ich musste lachen.
    «Ach das», sagte ich.
    «Ich muss los», sagte er. «Wir haben eine CD irgendwo, von deiner Mutter.»
    Später merkte ich, dass ich tatsächlich ein paar Stücke aus dem Radio kannte, genau wie mein Vater gesagt hatte, und dass sie mir gefielen. Ich hörte die CD dreimal nacheinander und nahm sie mit in mein Zimmer. Dort konnte ich sie nicht abspielen, aber ich schaute das Foto unter der Plastikhülle an, auf dem zwei Männer zu sehen waren, ein kleiner und ein großer. Der kleine trug eine Mütze, unter der lange dunkle Haare hervorquollen, und er hatte einen dicken Schnurrbart. Der große hatte blonde Locken, die strohig aussahen und abstanden wie hochgeföhnt.
    «Paul Simon», sagte ich, als die Lehrerin fragte: «Simon, wer ist
dein
Freund?» Ich hatte mir vorgenommen zu sagen, dass ich gern Erfolg mit etwas haben wollte, was ich gut konnte, so wie er, Lieder schreiben, die man nicht wegdrehte, wenn sie im Radio gespielt wurden, und die trotzdem aus irgendeinem Grund nicht billig klangen, sondern so, als hätte man sie schon immer gekannt.
    Sie legte den Kopf schief, wie sie es immer tat, wenn sie jemandem zuhörte, dann sagte sie, das ginge nicht, weil Simon nicht der Vorname sei, sondern der Familienname. Es klang, als hätte ich ihr etwas Schlimmes angetan, und ich wünschte es mir sogar. Sonst hatte sie mir manchmal leidgetan, doch während sie mich mit diesem gekränkten Ausdruck anschaute, hasste ich sie dafür, denn als andere ihr gesagt hatten, sie hätten die Aufgabe vergessen, hatte sie nur geseufzt. Über meinen Vater ärgerte ich mich nicht, obwohl es seine Idee gewesen war, ich hasste sie sogar noch mehr dafür, dass sie nicht verstand, wie gut dieser Name und Paul Simon waren.
    Mein Vater zuckte die Schultern, als ich davon erzählte, und sagte, die Besten bräuchten immer länger, um irgendwohin zu kommen, weil ihnen keiner unter die Arme greift und andere neidisch sind.
    «Wie heißt denn diese Lehrerin?», fragte er zuletzt. «Wahrscheinlich Heidrun oder Gerlinde. Und sie ist frustriert, weil noch niemand auf der ganzen Welt so hieß, an den man sich erinnert, weder mit Vornamen noch mit Nachnamen. Nur deshalb hat sie sich diese bescheuerte Aufgabe für euch ausgedacht.»
     
    Auch die meisten anderen lernte ich kennen, wenn ich Wäschekörbe oder Einkaufskartons zu ihren Wagen brachte. Es gab ein paar Leute, die sich regelmäßig etwas bringen ließen. Meine Mutter suchte bald nicht mehr nach Begründungen, um mich zu ihnen zu schicken. Sie sagte, die Leute würden mir das Geld eher und lieber geben als ihr, und wahrscheinlich hatte sie recht. Klaus machte jedes Mal ein Spektakel daraus, und ich war froh, wenn ich an Petra geriet, die selten mehr sprach als unbedingt nötig. Der Wagen neben den beiden gehörte einem dicken Kerl namens Waldemar. Von meinem Vater wusste ich, dass er mit der Frau, die an den Wochenenden bei ihm war, noch nicht lange zusammen war. Die Nachbarn redeten über sie noch als von seiner
Neuen
. Sie war Altenpflegerin, hatte rot gefärbtes Haar und sprach mit einem süddeutschen Dialekt. Auch sie war ziemlich dick. Waldemar bestellte immer das Gleiche: mehrere Schachteln Camels, billiges Bier, ein paar Tüten Salzbrezeln, Gulaschsuppe in Dosen, Brot, Butter und eine Bild-Zeitung. Als er das erste Mal Sachen bestellte, gab er meiner Mutter eine leere, ausgewaschene Suppendose mit, damit sie auf jeden Fall die richtige Sorte mitbrächte.
    Lorna war eine andere Stammkundin. Meine Mutter mochte sie nicht, sie sagte, Lorna halte sich für etwas Besseres, weil ihr und ihrem komischen Mann, den man fast nie sah, ein paar Wohnungen in der Stadt gehörten. Auf ihrem Zettel schrieb sie immer eine Zahl und ein x vor jedes Stück auf der Liste.
    «Rate mal, von wem der kommt», sagte meine Mutter im Auto

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