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Die Glücksparade

Die Glücksparade

Titel: Die Glücksparade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Martin Widmann
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hier», sagte Klaus zu meinem Vater. Er war zu uns herübergeschlendert wie jemand, der noch nicht genau weiß, was er vorhat, und weil ich in die Hocke gegangen war, um an der unteren Hälfte der Wand herumzuscheuern, hatte ich zuerst seine Füße gesehen, seine hellblaue Jeans ungefähr bis zu den Hüften, wo seine Hände in den Hosentaschen steckten. Er hatte kleine blaue Augen und zwei tiefe Furchen um den Mund, die seine Backen aus dem Gesicht herauszudrücken schienen. Mein Vater lachte, sagte
tja
oder etwas in der Art und machte weiter. Klaus schaute uns zu, und dann wiederholte er, was er gesagt hatte. Wir hatten zwei Drahtbürsten, einen mit Wasser gefüllten Eimer und Lappen hergebracht. Einen davon griff sich mein Vater jetzt, tauchte ihn ins Wasser, wrang ihn aus und wischte dann über die Bretter, mit denen er beschäftigt war.
    «Wir hatten früher mal einen VW -Bully», sagte Klaus. «Hab ich auch ’ne Menge dran gemacht, aber wir wollten dann lieber was Festes, so wie hier.»
    Ich schwitzte, und was schlimmer war, ich hatte Staub in den Haaren und im Gesicht. Meine Haut spannte, als wäre sie zu eng für mich. Auch mein Vater schwitzte, ich konnte es nicht nur sehen, sondern auch riechen. Seit wir hergekommen waren, ließ er sich wieder einen Bart stehen. Noch war er nicht sehr dicht, gerade dicht genug, dass das kleine Loch in seinem Kinn darunter verschwand. Genau da hatten sich jetzt ein paar winzige rote Farbsplitter verfangen.
    «Ist gut, wenn man viel selber machen kann», sagte Klaus.
    «Genau», sagte mein Vater. «Selbst ist der Mann.»
    «Und der Sohn auch.» Klaus lachte.
    Mein Vater stimmte ihm wieder zu. Er war gut darin, Leuten das Gefühl zu geben, sie wären unter Gleichgesinnten, auch wenn er sie in Wirklichkeit für Idioten hielt. Klaus stand noch eine Weile beim Schuppen herum, und zuletzt sagte er, er müsse weiter.
    Petra, seine Frau, kam am nächsten Tag zu uns rüber. Sie hatte blondes, dauergewelltes Haar und trug eine Jeans, die ihr bis weit über die Taille reichte. Ihr Hintern sah darin aus wie eine umgedrehte Schaufel, flach und breit. Irgendetwas sei undicht bei ihnen, sagte sie. Mein Vater lachte auf und versprach, sich darum zu kümmern.
     
    In der Schule erzählte ich von unserem Umzug erst, als eine Lehrerin auf dem Hof zu mir kam und wissen wollte, warum mich neuerdings immer jemand mit dem Auto abholte. Sie war eine kleine Frau mit igelig aufgestelltem Haar und einer runden Brille. Im Unterricht trug sie immer spitz zulaufende Stoffhosen und dazu Lederschuhe mit kleinen Metallstäben an den Seiten als Verschluss. Wie alt sie war, wusste niemand. Wahrscheinlich ging sie auf die vierzig zu, doch hätte mir jemand gesagt, sie sei schon fünfzig, hätte ich auch das geglaubt. Sie nickte zu dem, was ich sagte, und erklärte dann, es sei ihre Aufgabe als Lehrerin, auf so etwas zu achten. Ich stand nur da und sah sie an.
    «Hat es dir die Sprache verschlagen?», sagte sie.
    «Nein», sagte ich. «Sie haben mir gesagt, was Ihre Aufgabe ist. Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll.»
    «Soll das ein Witz sein?»
    Ich zuckte mit den Schultern.
    «Und das mit dem Campingplatz ist auch ein blöder Witz, oder wie?»
    «Nein», sagte ich. «Das ist kein Witz, es tut mir leid.»
    Ich konnte sehen, dass sie wütend auf mich war, obwohl ich nicht verstand, was ich ihr getan hatte. Sie drehte sich um, und da lachte wirklich jemand.
    Jetzt, wo auch andere es gehört hatten, fragte trotzdem niemand weiter nach, und ich war froh darüber. Ich gehörte nicht zu denen, die bedrängt oder erpresst wurden, aber ich hatte auch keine richtigen Freunde gefunden, seit ich vor zwei Jahren auf diese Schule gekommen war. Die beiden, mit denen ich die meiste Zeit verbrachte, hießen Thorsten und Marcel. Genau wie ich waren sie noch nicht lange in der Klasse, und keiner von uns dreien sprach viel. Jeden Montag erzählten sie, wie viel sie am Wochenende gesoffen hatten, und ich hörte ihnen zu. Wir saßen in vielen Fächern nebeneinander und standen in den Pausen zusammen, aber wenn einer mit dem Stuhl kippelte und ein anderer es sah, zog er an der Lehne, sodass der Stuhl umfiel und es etwas zu lachen gab. Außer in der Schule traf ich sie nicht. Thorsten war einer von denen, die ihre eigentlichen Freunde in dem Viertel hatten, aus dem sie kamen, und die in der Schule Leute brauchten, mit denen sie die Zeit verbringen konnten. Ich wusste, dass er sich eigentlich nicht für mich interessierte.

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