Die Glut des Zorns (Billy Bob Holland) (German Edition)
eine tief ausgeschnittene weiße Bluse, die den Nabel frei ließ, legte Reifohrringe an, trug Rouge auf, schminkte sich den Mund und machte sich dann mit flüssigem Eyeliner, Mascara und Lidschatten an ihren Augen zu schaffen.
Als sie die Schlafzimmertür aufriss und aus dem Wohnzimmerfenster schaute, sah sie die Rücklichter des Pick-ups in der Dämmerung verschwinden. So sonderbar es war, aber mit einem Mal war sie enttäuscht und fühlte sich im Stich gelassen, obwohl sie sich die Angst und die Einsamkeit, die sie empfand, nicht erklären konnte.
Sie rief Steve an, den Jungen, der ein Stück weiter wohnte,zündete sich über der Spüle eine Zigarette an, öffnete eine der Bierflaschen ihres Vaters und trank sie auf der vorderen Veranda, während sie mit klopfendem Herzen auf ihren Freund wartete.
Der Abendhimmel hatte sich gelb verfärbt, der Wind trieb Staubwolken durch die Luft und peitschte die Bäume auf dem Höhenzug über dem Haus, und sie konnte den Regen riechen, der wie Lavendeldunst über die Berge im Norden zog. Aber egal, welche Gefahren der Abend bringen, welches Missgeschick sie auch erwarten mochte, sie würde sich dem stellen und alles meistern, sagte sie sich. Mit der ganzen kämpferischen Kraft, die in ihren Schläfen pochte, wollte sie die Widersacher bezwingen, die sie im Schlaf heimsuchten und sie erniedrigten, die tagtäglich durch die tadelnden Worte ihres Vaters wieder erstanden, durch die Art und Weise, wie er sie lenken und beherrschen wollte.
Genau das begreift er nicht, dachte sie. Sämtliche Vorhaltungen, die er ihr machte, waren wie die tastenden Finger, die Zunge und der Phallus jedes einzelnen der gesichtslosen Männer, die sie vergewaltigt hatten. Nie war ihr das so deutlich gewesen. Warum konnte ihr Vater das nicht einsehen? Am liebsten hätte sie ihm die Frage ins Gesicht geschrien.
Sie fuhren mit Steves Auto zu einem Nachtclub in Missoula, der an einer Straße lag, an der sich früher Bordelle und danach Arbeiterkneipen befunden hatten, bevor im Zuge der Stadtsanierung die Grundstückspreise stiegen, die Stadt ihren proletarischen Charakter verlor und sich immer mehr Galerien und Boutiquen ansiedelten.
Aber noch gab es einen Nachtclub an der Straße, in dem es die ganze Woche über jeden Abend hoch herging. Als sich Maisey und Steve dem Eingang näherten, leuchteten die Ausläufer der Berge im Abendrot. Der Himmel hing voller gelberund lila Wolkenfetzen, die aussahen, als wären sie tief unten aus dem Talgrund geschürft worden, und der Staub, den der Wind vor sich hertrieb, war kalt, mit Regentropfen durchsetzt und fühlte sich hart wie Sandkörner an.
Aber trotz des drohenden Unwetters, das über dem Tal aufzog, war es ein großartiger Abend, und die Luft roch so gut und sauber, dass sie sich nur ungern davon losreißen mochte.
Vielleicht sollten sie und Steve einfach irgendwo an den Fluss fahren, zusehen, wie das Wild aus den Wäldern zur Tränke zog, vielleicht in irgendeinem hell erleuchteten Restaurant, wo hauptsächlich Familien verkehrten, einen Hamburger essen und hinterher ins Kino gehen.
Nein, genau das wollte ihr Vater, das war das ätzende Programm, das er ihr am liebsten per Rezept verordnet hätte.
Unter der Tür zögerte sie einen Moment. An der Bar standen Männer mit Motorradstiefeln, goldenen Ohrringen und Lederwesten über dem nackten Oberkörper, Männer, deren Arme vom Handgelenk bis zu den Achselhöhlen voller blauer Tätowierungen waren, die sich Schnäpse hinter die Binde kippten und mit Bier nachspülten. Aber junge Frauen, nicht viel älter als sie, waren ebenfalls in dem Club, außerdem legte auf der Bühne gerade eine Rock’n’Roll-Band los, und vor dem Eingang standen drei Collegejungs, die aussahen wie Footballspieler, offenbar ein bisschen frische Luft schnappen wollten und ihr gut gelaunt zugrinsten.
Sie lächelte zurück, als wären sie alte Freunde, und ging hinein, hinter Steve her, dessen Hemd aus der Hose hing, der mit seinen Badelatschen über den Boden schlappte und so vertrauensselig und arglos dreinschaute wie ein Rehkitz. Aber die Footballspieler würdigten ihn keines Blickes. Stattdessen spürte sie, wie sie ihren Mund musterten, das Rouge auf ihren Wangen, ihre Bluse, den Ansatz ihrer Brüste, dieFältchen um ihre bloße Taille, wenn sie ging. Unwillkürlich schob sie die Hand in die hintere Tasche, um den Gummizug des Höschens zu verdecken, der ihrer Meinung nach aus dem Bund der Khakihose gerutscht war.
Sie und Steve
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