Die Glut des Zorns (Billy Bob Holland) (German Edition)
auf.
Doc hob die Forelle am Maul hoch, worauf sich der Rogen mitsamt einem dunkelrosa Wasserschwall aus dem aufgetrennten Bauch ergoss und glitzernd auf den Steinen zu seinen Füßen liegen blieb. Doc blickte auf und grinste mich an, aber ich erkannte ihn kaum wieder. Sein Gesicht war wie ein Totenschädel, seine Augen funkelten im Mondlicht, das sich auf dem Fluss spiegelte.
»Wo ist deine Wathose, Doc?«, sagte ich.
Die Klinge in seiner Hand glühte in einem weißen Feuerschein, als er sich umdrehte und wegging.
Ich wachte auf, ging in die Küche und öffnete eine Schublade, in der Doc häufig seine Rechnungen verstaute, wenn er vom Einkaufen kam. Es dauerte einen Moment, aber dann hatte ich ihn gefunden, den hintendrin steckenden, zusammengeknüllten Durchschlag einer Rechnung von Bob Ward’s Sporting Goods.
»Was machst du da?«, sagte Doc hinter mir.
»Ich habe die Rechnung vor einer Woche gesehen. Für eine Wathose«, sagte ich.
»Und?«
»Wo ist sie?«
»Ich habe sie zurückgebracht«, erwiderte er.
»Ohne Rechnung?«
»Was willst du damit sagen, Billy Bob?«
»Hast du den Mann ertränkt?«, fragte ich mit belegter Stimme.
»Jemand ist mir zuvorgekommen. Schalte das Licht aus, wenn du zu Bett gehst«, sagte er.
Am Sonntag ging ich in der katholischen Kirche bei der Universität zur Messe, fuhr dann in einem aus heiterem Himmel niedergehenden Regenguss zum Clark Fork westlich der Stadt und setzte mich auf einen riesigen flachen Fels, der schräg zum Wasser abfiel. Der Fluss war breit und grün wie oxidiertes Kupfer, Seidenholzbäume standen am Ufer, und in der Ferne ragten blaue Berge auf. Ein Stück flussaufwärts parkte ein Pick-up, aus dessen Autoradio Gospel-Musik drang, und einen Moment lang war ich wieder neun Jahre alt und nahm an einem Feldgottesdienst in den Winding Stair Mountains im Osten von Oklahoma teil. Der Prediger hatte mich gerade rückwärts in den Fluss getaucht, und als das kalte Wasser meinen Oberkörper traf, schlug ich unwillkürlich die Augen auf und blickte auf das wie fein gesponnene Spitze wirkende Blätterdach der Hartholzbäume über mir, das blaue Himmelszelt und das Herbstlicht, das um die dunkle Silhouette des Predigers fiel, als wäre es aus einem goldenen Kelch gegossen worden.
Dann hob er mich aus dem Wasser, sodass ich wieder Luft schnappen konnte. Als ich mit ihm zum Ufer ging, wo mein Vater auf mich wartete, kam mir die Welt zwar nicht verändert vor, aber sie wirkte irgendwie klarer, ohne dass ich mir seinerzeit erklären konnte, weshalb. Der Himmel war mit dem Rand der Erde verbunden, bis zu den dunstigen Umrissen der Ozark Mountains hin wogte das rot und golden gesprenkelte Laub der Bäume, und aus dem Schatten drang ein faulig fruchtbarer Geruch nach Schlick, stehendem Wasser und den Nestern aufgescheuchter Tiere. Dann stimmte eine stämmige Frau, die eine Gibson mit schwarz lackiertem Vollkorpus um den Hals hängen hatte, »I Saw the Light« an.
Der Prediger war dürr wie eine Vogelscheuche. Er sprach in Zungen und stampfte mit der aufgeschlagenen Bibel in der Hand auf der Holzbühne herum, während die Gemeindemitgliederin donnerndem Rhythmus klatschten, dass die Erde bebte, mit schrillen, fast orgiastischen Stimmen ihre Freude und Erleichterung herausschrien. Selbst mein Vater, der normalerweise ein nüchterner und zurückhaltender Mann war, hob mich mit einem Arm hoch und tanzte im Kreis herum.
Es war ein Ereignis, über das sich andere Leute lustig machen mögen, aber ich werde es nie vergessen. Nachdem mein Vater und ich in unseren Pick-up gestiegen waren und aufbrechen wollten, beugte sich der Prediger durch das Fenster auf der Beifahrerseite. Seine Haare sahen aus, als wären sie mit der Schafschere geschnitten; er hatte ein langes Pferdegesicht, und seine Haut war rau wie eine Holzschindel.
»Du hast doch keine Angst gehabt, oder?«, fragte er.
»Nein, Sir«, log ich.
»Die Papisten haben sieben Sakramente. Wir haben bloß eins. Darum lassen wir’s richtig rappeln. Du bist jetzt im Fluss getauft, mein Sohn. Von jetzt an hast du deine Kirche bei dir, wo immer du auch hingehst. Die Erde und der Himmel, das Wasser und der Geist, all das ist auf ewig in deine Seele gebrannt. Du brauchst dich nie mehr zu fürchten«, sagte er und schaute mich mit seinen dunklen, vor Selbstsicherheit strotzenden Augen an.
»Was machst du, Großer?«, sagte jemand hinter mir.
Ich drehte mich um und blickte zu Temple Carrol hoch, die auf dem abschüssigen
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