Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Glut des Zorns (Billy Bob Holland) (German Edition)

Die Glut des Zorns (Billy Bob Holland) (German Edition)

Titel: Die Glut des Zorns (Billy Bob Holland) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Lee Burke
Vom Netzwerk:
kam es nicht. Die Zuhörer waren höflich, und wenn jemand abfällig stöhnte, wurde er von seinen Nachbarn sofort zum Schweigen ermahnt. Dann erhob sich Carl Hinkel, der Anführer der Milizgruppe aus dem Bitterroot Valley, von seinem Stuhl in der dritten Reihe und lieferte den Minenbetreibern das, was sie brauchten – einen würdevollen Vortrag, der seinen eigentlichen Zielen Hohn sprach, in dem er an den Patriotismus appellierte, Verständnis für die Belange der Arbeiterschaft äußerte, auf die viel versprechenden wirtschaftlichen Prognosen hinwies und Brauchtum und Geschichte von Montana bemühte.
    Er trug ein nach Westernart geschnittenes Sportsakko mit Flicken an den Ärmeln, ein braunes Hemd mit einem geblümten Schlips und eine anthrazitfarbene Hose. Sein Bart war frisch gestutzt, und er hatte die Schultern gestrafft und hielt seine Maiskolbenpfeife in der hohlen Hand. Mit seinem Virginiaakzent wirkte er auf das Publikum sowohl sonderbar als auch faszinierend, zumal er sich jede Unmutsäußerung oder boshafte Anspielung verkniff. Man sah den Leuten förmlich an, dass sie die Meinung, die sie sich zuvor über ihn gebildet hatten, überdachten.
    »Willst du dem Kerl nicht die Suppe versalzen?«, sagte ich zu Doc.
    Aber Doc schaute nur auf seine Füße.
    »Die Erde wurde dazu erschaffen, uns zu ernähren und zu versorgen. Die Rohstoffe, die wir aus dem Boden gewinnen, dienen diesem Zweck ebenso wie die Früchte des Feldes, die wir auf unseren Farmen anbauen. All das sind Gaben, die uns der Herr geschenkt hat«, sagte Hinkel. »Meiner Ansicht nach wäre es furchtbar vermessen, wenn wir diese Gaben zurückweisen würden. Ich will hier niemanden vor den Kopf stoßen. Ich liebe diesen Staat. Ich glaube, wir haben die Pflicht, Hüterund Verwalter dieser Ländereien zu sein. Ich bedanke mich dafür, dass Sie mir die Gelegenheit gegeben haben, heute Abend hier zu sprechen. Gott schütze Sie alle, Gott schütze die arbeitenden Menschen, die auf ihre Jobs angewiesen sind.«
    Als Hinkel sich setzte, erhob sich kein Mensch, um ihm zu widersprechen. Ein langhaariger Junge, der eine Tarnjacke und einen Ohrring trug, an dem eine weiße Feder hing, stand auf und hielt eine langatmige Rede über amerikanische Ureinwohner, Windkraft, die Holzindustrie und die Raketensilos östlich der Berge. Gelangweilt verdrehten die Leute die Augen. Carl Hinkel kam ihnen jetzt vor wie ein Clarence Darrow.
    »Sag irgendwas, Doc.«
    »Scheiß drauf. Wenn sie jemanden wie mich als Anführer brauchen, sind sie’s nicht wert, geführt zu werden«, erwiderte er.
    Der Himmel war noch hell, als sich die Versammlung auflöste und die Leute nach draußen strömten. Im Westen hingen malvenfarbene Wolken am Himmel, und der Regen, der in den Cañon am Alberton Gorge fiel, wirkte im Licht wie gesponnenes Glas. Ich roch den schweren, kalten Dunst, der aus dem Clark Fork aufstieg, die nassen Felsblöcke im Schatten entlang des Ufers und das Gras, das irgendwo in weiter Ferne gemäht wurde. Die Flusslandschaft, der Purpurdunst über den Bergen, die alten Bäume, die so hoch waren, dass sie aussahen, als ragten sie in den Himmel, all das kam dem Garten Eden vermutlich so nahe, wie es heutzutage nur möglich war, dachte ich. Aber in diesem wunderbaren Teil der Welt trieben sich auch Carl Hinkel und seine Freunde herum, die hier ihr eigenes Land gründen wollten, nach außen abgeschottet und mit Stacheldrahtzaun und Wachtürmen umgeben.
    Leute, die es eigentlich hätten besser wissen müssen, waren stehen geblieben und plauderten mit ihm. Er war offensichtlichein kräftiger Mann, und er bewies seine Kraft, indem er ein pummeliges, etwa zehn-, elfjähriges Mädchen hochhob und mit ausgestreckten Armen in der Luft hielt.
    »Entschuldigen Sie, Mr. Hinkel«, sagte ich.
    »Ja?«, sagte er und wandte sich mit hochgezogenen Augenbrauen an mich.
    »Ich habe ständig Ärger mit Wyatt Dixon. Ich glaube, er unternimmt nichts ohne Ihre Erlaubnis. Wenn er meinen Sohn noch einmal belästigt, komme ich raus zu Ihnen und ramme Ihnen einen Dachsparren samt Nägeln in den Arsch.«
    »Tut mir Leid, aber ich kenne Sie nicht«, sagte er.
    »Ach, wirklich?«
    »Ich bin sechzig Jahre alt. Meiner Ansicht nach beschämen Sie Ihren Sohn und erniedrigen sich selbst. Aber wenn Sie mich schlagen wollen, dann nur zu, bringen Sie’s hinter sich«, sagte er.
    Die Gespräche rundum erstarben, und alle Menschen, die auf dem Rasen vor dem Motel und auf der von Bäumen gesäumten Auffahrt

Weitere Kostenlose Bücher