Die Glut
mich herum als göttliche Gunst und Gabe empfunden hast, war ganz einfach nur Gutgläubigkeit. Ich war gutgläubig, bis hin zu dem Tag, da ... ja, eben, bis zu dem Tag, da ich in deinem Zimmer stand, aus dem du geflohen warst. Vielleicht hat genau diese Gutgläubigkeit die Menschen bewogen, mir Wohlwollen, Vertrauen und ein Lächeln entgegenzubringen. Ja, in mir war etwas - ich spreche in der Vergangenheit, und das, wovon ich spreche, ist so weit weg, als spräche ich von einem Fremden oder einem Toten -, in mir war eine Art Leichtigkeit und Unvoreingenommenheit, und das wirkte auf die Menschen entwaffnend. Es gab in meinem Leben eine Zeit, das Jahrzehnt der Jugend, da die Welt meine Gegenwart und meine Bedürfnisse geduldig ertrug. Die Zeit der Gnade. Da eilen dir alle entgegen, als wärst du der Eroberer, den man mit Wein und Blumenkränzen und Mädchen feiern muß. Und tatsächlich verließ mich in dem Jahrzehnt in Wien, in der Kadettenanstalt und beim Regiment, nie das sichere Gefühl, dass mir die Götter einen geheimen, unsichtbaren Glücksring an den Finger gesteckt hatten, dass mir nichts Schwerwiegendes zustoßen konnte, dass ich von Liebe und Vertrauen umgeben war. Mehr kann ein Mensch vom Leben nicht erwarten«, sagt er ernst. »Das ist die größte Gnade. Wem sie zu Kopf steigt, wer überheblich oder großspurig wird, wer sich nicht mit Demut darein schickt, dass ihn das Schicksal verwöhnt, wer nicht weiß, dass dieser begnadete Zustand nur so lange währt, wie wir es nicht in Kleingeld umtauschen, der geht unter. Die Welt verzeiht nur denen eine Zeitlang, die im Herzen bescheiden und demütig bleiben ... Du hast mich also gehasst«, sagt er bestimmt. »Als die Jugend allmählich verging, als der Zauber der Kindheit endete, begann sich unsere Beziehung abzukühlen. Es gibt keinen traurigeren, hoffnungsloseren Gefühlsvorgang als die Abkühlung einer Männerfreundschaft. Denn zwischen einer Frau und einem Mann hat alles seine Bedingung, wie bei einem Handel auf dem Markt. Zwischen Männern hingegen liegt die tiefe Bedeutung der Freundschaft gerade in der Selbstlosigkeit, darin, dass wir vom anderen keine Opfer, keine Zärtlichkeit erwarten, wir wollen nichts anderes, als die Vereinbarung eines wortlosen Bundes wahren. Vielleicht war doch ich der Schuldige, weil ich dich zu wenig kannte. Ich fand mich damit ab, dass du dich nicht ganz zeigtest, ich achtete deine Intelligenz und den merkwürdigen, bitteren Hochmut, der aus dir sprach, ich wollte glauben, dass auch du mir verzeihen würdest, so wie die Welt, da in mir eine Fähigkeit war, mich den Menschen leicht und heiter zu nähern, beliebt zu sein, wo du nur geduldet wurdest - ich hoffte auf deine Nachsicht dafür, dass ich mit der Welt auf Du und Du war. Ich dachte, du könntest dich darüber freuen. Unsere Freundschaft glich den Männerfreundschaften in alten Sagen. Und während ich auf der Sonnenseite des Lebens ging, bliebst du absichtlich im Schatten. Siehst du das auch so? ...«
»Du hast von der Jagd gesprochen«, sagt der Gast ausweichend.
»Von der Jagd, ja«, sagt der General. »Aber das alles gehört dazu. Wenn ein Mensch einen anderen Menschen töten will, geschieht natürlich schon sehr vieles vorher, er lädt nicht einfach nur sein Gewehr und legt an. Es geschieht zum Beispiel das, wovon ich gesprochen habe, nämlich dass du mir nicht verzeihen konntest, es geschah, dass die Beziehung, die in den tiefen Schichten der Kindheit entstanden und so verflochten und zäh war, als lebten die beiden Kinder auf den riesigen Blättern der Feenrose, in den traumhaften Blätterwiegen der Victoria regia - erinnerst du dich, wie ich hier im Gewächshaus lange Zeit diese geheimnisvolle, selten blühende Pflanze ziehen ließ? -, es geschah, dass diese Beziehung eines Tages zerbrach. Die zauberhafte Zeit der Kindheit war vorbei, es blieben zwei Menschen zurück, verwickelt in eine heikle und geheimnisvolle Beziehung, die mit einem alltäglichen Wort Freundschaft hieß. Auch das müssen wir wissen, bevor wir von der Jagd sprechen. Denn man ist nicht unbedingt in dem Augenblick am schuldigsten, in dem man das Gewehr anlegt, um jemanden umzubringen. Die Schuld besteht schon vorher, die Absicht ist die Schuld. Und wenn ich sage, dass diese Beziehung eines Tages zerbrach, dann muß ich wissen, ob das wirklich stimmt, und wenn ja, dann will ich wissen, wer oder was sie zerbrochen hat. Denn wir waren wohl verschieden, aber wir gehörten doch zusammen, ich war
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