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Die Glut

Die Glut

Titel: Die Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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vorbeipfiff und vielleicht den Hirsch traf. Ich wusste, eine Bewegung würde genügen, und die Kugel bliebe im Lauf. Ich wusste aber auch, dass ich mich nicht rühren konnte, weil mein Schicksal in dem Augenblick nicht von meiner Entscheidung abhing: Etwas war reif geworden, etwas musste eintreten, nach eigener Ordnung. Und so stand ich und wartete auf den Schuss, wartete, dass du abdrückst und ich von einer Kugel aus dem Gewehr meines Freundes getötet würde. Die Situation war perfekt, es gab keine Zeugen, der Jäger und die Hunde waren weit weg, eine genaue, eine bekannte Situation, das »tragische Versehen«, von dem jedes Jahr in den Zeitungen berichtet wird. Dann war die halbe Minute vorbei, und der Schuss kam noch immer nicht. In dem Augenblick erkannte der Hirsch die Gefahr, und mit einem Sprung, der einer Explosion glich, verschwand er im Unterholz. Wir rührten uns noch nicht. Jetzt hast du das Gewehr sinken lassen, ganz langsam. Auch diese Bewegung konnte ich weder sehen noch hören. Und sah und hörte sie doch, als stünde ich dir zugewandt. Du hast das Gewehr so vorsichtig sinken lassen, als könnte dich sogar die Luftreibung verraten, nachdem der günstige Augenblick vorbei, der Hirsch im Unterholz verschwunden war - siehst du, das Interessante ist, dass du mich immer noch hättest töten können, da waren ja keine Augenzeugen, und es gab keinen Menschen, keinen Richter, der dich verurteilt hätte, die Welt hätte dich mit Anteilnahme umfangen, wenn du es getan hättest, denn wir waren ja die legendären Freunde, Castor und Pollux, seit vierundzwanzig Jahren Kameraden durch dick und dünn, wir waren das fleischgewordene Freundschaftsideal, wenn du mich umgebracht hättest, wären dir alle Hände anteilnehmend entgegengestreckt worden, alle hätten mit dir getrauert, denn es gibt in den Augen der Welt keine tragischere Figur als den Menschen, der aufgrund eines Schicksalsspruchs der Götter aus Versehen seinen Freund umbringt ... Wo ist der Mensch, wo die Staatsanwaltschaft, wo der Vermessene, der eine Anklage zu erheben, das Unglaubliche vor der Welt auszubreiten wagte, nämlich dass du mich absichtlich getötet hättest? ... Es gibt keinen Beweis dafür, dass du in deinem Herzen eine tödliche Animosität gegen mich hegtest. Am Vorabend hatten wir gemeinsam gegessen, im Freundeskreis, zusammen mit meiner Frau, meinen Verwandten und Jagdkameraden, im Schloss, wo du seit Jahrzehnten täglich Gast warst, man hatte uns zusammen gesehen, so wie wir immer waren, in allen Situationen des Lebens, im Dienst, in der Gesellschaft, freundschaftlich und herzlich wie immer. Geld schuldetest du mir nicht, du warst in meinem Haus wie ein Mitglied der Familie, wer sollte daran denken, dass du mich umbringen wolltest? ... Niemand. Warum hättest du mich denn umbringen sollen? Was für eine unmenschliche und unmögliche Annahme, dass du, der Freund aller Freunde, den Freund aller Freunde tötest, mich, von dem du im Leben alles bekommen konntest, was du brauchtest, menschliche und materielle Unterstützung, während du mein Haus als dein eigenes, mein Vermögen als ein gemeinsames, meine Familie als deine Adoptivfamilie betrachten durftest? Nein, die Anklage wäre auf den zurückgefallen, der sie erhoben hätte, und niemand hätte sie aussprechen dürfen, ohne dass die Welt eine solche Frechheit bestraft hätte; dir wäre man voller Anteilnahme entgegengeeilt, denn dir wäre das Entsetzliche und Unmenschliche zugestoßen, dich hätte der furchtbare Schicksalsschlag getroffen, da ein tragischer Zufall sich deiner Hand bedient hatte, um deinen besten Freund zu töten ... So standen die Dinge. Und du hast doch nicht abgedrückt. Warum nicht? ... Was geschah in dem Augenblick? Vielleicht nur so viel, dass der Hirsch die Gefahr spürte und floh, während die menschliche Natur so beschaffen ist, dass sie im Augenblick einer außergewöhnlichen Handlung immer einen objektiven Vorwand braucht. Es war richtig, was du dir ausgedacht hattest, es war genau und perfekt, aber vielleicht brauchte es doch den Hirsch dazu; die Szene zerfiel, und du hast das Gewehr sinken lassen. Es ging um Sekundenbruchteile, wer vermag die Dinge da noch aufzuteilen, auseinanderzuhalten und zu beurteilen? ... Das ist auch gar nicht wichtig. Die Tatsache ist das Entscheidende, auch wenn sie keinen Prozess entscheiden würde. Die Tatsache, dass du mich töten wolltest, und als dann ein unerwartetes Phänomen den Augenblick störte, begann deine Hand zu

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