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Die Glut

Die Glut

Titel: Die Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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ihn also hinunter, stelle ihn gewissermaßen wie einen Bleisoldaten auf den Boden zurück; seine Stiefel klopfen auf dem Parkett, er steht wieder stramm wie bei der Parade. Ich nehme mein Taschentuch hervor, trockne mir die Stirn ab. Es gibt eine einzige Frage, und dieser Mensch könnte sie sofort beantworten. Sie lautet: ›War die Dame, die eben weggegangen ist, auch früher schon da? ...‹ Wenn er nicht antwortet, bringe ich ihn um. Aber wenn er antwortet, bringe ich ihn vielleicht auch um, und vielleicht nicht nur ihn ... In solchen Augenblicken kennt man seine Freunde nicht mehr. Gleichzeitig aber weiß ich, dass es unnötig ist zu fragen. Ich weiß, dass Krisztina auch früher schon dagewesen ist, nicht nur einmal, sondern viele Male.«
    Er lehnt sich zurück, lässt die Arme mit einer müden Bewegung sinken.
    »Jetzt hat es keinen Wert mehr, irgendetwas zu fragen«, sagt er. »Was man noch wissen muß, kann ein fremder Mensch nicht verraten. Man müsste wissen, warum das alles geschehen ist. Und wo die Grenze zwischen zwei Menschen ist. Die Grenze des Verrats. Das müsste man wissen. Und dann noch, wo in alledem meine Schuld liegt ...«
    Das fragt er ganz leise, mit ungewisser Stimme. Man hört den Wörtern an, dass er sie zum ersten Mal laut ausspricht, nachdem er sie einundvierzig Jahre lang in seiner Seele herumgetragen und bis jetzt noch keine Antwort gefunden hat.

16

    »Denn die Dinge stoßen einem nicht einfach zu«, sagt er jetzt bestimmter und schaut auf. Über ihren Köpfen brennen die Kerzen mit hohen, rauchenden Flammen; innen sind sie schon ganz schwarz. Die Landschaft und die Stadt jenseits der Fenster sind noch dunkel, keine einzige Laterne leuchtet in der Nacht. »Man macht auch, was mit einem geschieht. Man macht es, ruft es herbei, lässt nicht los, was geschehen muß. So ist der Mensch. Er tut es auch, wenn er vom ersten Augenblick an weiß, dass sein Tun fatal ist. Sie halten einander fest, der Mensch und sein Schicksal, sie beschwören und gestalten einander. Es stimmt nicht, dass das Schicksal heimlich in unser Leben tritt. Nein, das Schicksal tritt durch die Tür herein, die wir ihm öffnen, und wir bitten es, doch näher zu treten. Kein Mensch ist stark oder klug genug, mit Taten oder Worten das Unglück abzuwenden, das mit eherner Gesetzmäßigkeit aus seinem Wesen, seinem Charakter folgt. Wusste ich denn alles von dir und Krisztina? Ich meine, von Anfang an, seit Beginn unserer Geschichte zu dritt ... Schließlich hast du mich Krisztina vorgestellt. Dich kannte sie als Kind, du warst es, der bei ihrem Vater Noten kopieren ließ, bei dem alten Mann, dessen verkrümmte Hände für das Abschreiben von Musikstücken noch gut waren, aber Geige und Bogen nicht mehr halten, dem Instrument keine edlen Töne mehr entlocken konnten, so dass er die Karriere abbrechen, den Konzertsaal hinter sich lassen musste, um in der Musikschule einer Kleinstadt all die unmusikalischen oder höchstens ansatzweise begabten Kinder zu unterrichten, wobei er noch ein bisschen hinzuverdiente, indem er die Werke begabter Dilettanten verbesserte und bereinigte ... Auf diesem Weg lernst du ihn kennen, ihn und seine Tochter, die damals siebzehn Jahre alt ist. Die Mutter ist in Südtirol gestorben; wegen ihrer Herzkrankheit hatte sie sich in ein Sanatorium in der Nähe ihres Geburtsorts zurückgezogen. Später, am Ende unserer Hochzeitsreise, werden wir in dieses Bad fahren und das Sanatorium aufsuchen, weil Krisztina das Zimmer sehen möchte, in dem ihre Mutter gestorben ist. Wir kommen an einem Nachmittag in Arco an, im Automobil. Wir sind im Duft von Blumen und Orangenbäumen am Gardasee entlanggefahren und in Riva abgestiegen, und am Nachmittag fahren wir nach Arco hinüber. Das Land ist silbergrau wie die Olivenbäume, weit oben eine Burg, und in der dunstigen, lauwarmen Luft, zwischen Felsen versteckt, liegt das Sanatorium. Überall Palmen und eine rührend zarte Beleuchtung wie in einem Gewächshaus. Das blassgelbe Gebäude, wo Krisztinas Mutter ihre letzten Jahre verbracht hat, ist in der großen Stille so geheimnisvoll, als schließe es alle Traurigkeit ein, von der die Herzen der Menschen krank werden, als wäre das Herzeleid eine Folge der Enttäuschungen, der unverständlichen Unglücksfälle des Lebens und würde hier stumm und aktiv gelebt. Krisztina geht um das Haus herum. Die Stille, der Duft der stacheligen südlichen Pflanzen, der lauwarme, wohlriechende Dunst, der alles einhüllt, als wäre er eine

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