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Die Glut

Die Glut

Titel: Die Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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feine Leinenbinde für die kranken Herzen, all das berührt auch mich tief. Zum ersten Mal spüre ich, dass Krisztina nicht ganz bei mir ist, und ich höre von weit weg, von sehr weit weg, vom Beginn der Zeiten, eine kluge, traurige Stimme, die Stimme meines Vaters. Sie redet von dir, Konrád«, zum ersten Mal spricht er den Namen des Gastes aus, ohne Zorn, ohne Erregung, sondern neutral und höflich, »und sie sagt, du seist kein richtiger Soldat, du seist ein Mensch anderer Art. Ich verstehe das nicht, ich weiß noch nicht, was Anderssein bedeutet ... Es braucht eine lange Zeit, viele einsame Stunden, um mich zu lehren, dass es immer nur darum geht, dass es zwischen Männern und Frauen, unter Freunden und Bekannten immer um dieses Anderssein geht, das die Menschheit in zwei Parteien spaltet. Manchmal glaube ich schon, dass es auf der Welt nur diese beiden Parteien gibt und dass alle Klassenunterschiede, alle Schattierungen der Weltanschauung, der Machtverhältnisse nur Varianten dieses Andersseins sind. Und so wie nur Menschen der gleichen Blutgruppe einander in der Gefahr beistehen können, so vermag eine Seele der anderen nur dann zu helfen, wenn diese nicht ›anders‹ ist, wenn ihre jenseits von Ansichten und Überzeugungen liegende geheimste Wirklichkeit ähnlich ist ... Und da, in Arco, wurde mir bewusst, dass das Fest zu Ende war, dass auch Krisztina ›anders‹ war. Und mir ist in den Sinn gekommen, was mein Vater gesagt hatte, der keine Bücher las, den die Einsamkeit und das Leben aber gelehrt hatten, die Wahrheit zu erkennen; ja, er wusste von dieser Zweiheit, auch er war einer Frau begegnet, die er sehr liebte, an deren Seite er aber trotzdem einsam blieb, weil sie zweierlei Menschen waren, zweierlei Temperamente, zweierlei Lebensrhythmen, denn auch meine Mutter war ›anders‹, so wie du und Krisztina ... Und in Arco ist mir noch etwas klargeworden. Das Gefühl, das mich mit meiner Mutter, mit dir und Krisztina verband, war immer das gleiche, die gleiche Sehnsucht, die gleiche suchende Hoffnung, das gleiche hilflose, traurige Wollen. Denn immer lieben wir den ›anderen‹, immer suchen wir ihn, in sämtlichen Umständen und Wechselfällen des Lebens ... Weißt du das schon? Das größte Geheimnis und das größte Geschenk des Lebens besteht dann, dass sich zwei ›gleichartige‹ Menschen begegnen. Das kommt so selten vor - es muß daran liegen, dass die Natur mit List und Gewalt einen solchen Zusammenklang verhindert -, vielleicht weil für die Schöpfung der Welt, die Erneuerung des Lebens die Spannung nötig ist, wie sie zwischen einander ewig suchenden, gegensätzlich gestimmten Menschen entsteht. Wechselstrom, weißt du ... Energieaustausch zwischen positiver und negativer Ladung, wohin man blickt. Wie viel Verzweiflung, wie viel blinde Hoffnung hinter dieser Zweiheit! Ja, in Arco hörte ich die Stimme meines Vaters, und ich begriff, dass sich sein Schicksal in mir fortsetzte, dass ich zu seiner Art gehörte, während meine Mutter, du und Krisztina am anderen Ufer standet, jeder mit einer anderen Rolle, die Mutter, der Freund, die liebe und liebende Ehefrau, wobei ihr in meinem Leben dennoch die gleiche Rolle spieltet. Am anderen Ufer, ja, wohin man nie gelangt ... Und man kann im Leben alles erreichen, in der Welt und um sich herum alles niederringen, das Leben kann einem alles geben, man kann vom Leben alles nehmen; aber den Geschmack, die Neigungen, den Rhythmus eines Menschen kann man nicht ändern, nicht sein Anderssein, das ihn völlig charakterisiert, während er dir doch nahesteht, dir wichtig ist. Das spüre ich zum ersten Mal, als Krisztina in Arco um das Haus herumgeht, in dem ihre Mutter gestorben ist.«
    Er lässt seinen Kopf sinken, stützt mit der Hand die Stirn, mit einer hilflosen, resignierenden Geste, wie einer, der endlich verstanden hat, dass man gegen die Grundgegebenheiten des Menschseins nie etwas tun kann.
    »Dann sind wir von Arco nach Hause gereist und haben hier das Leben aufgenommen«, sagt er. »Den Rest kennst du. Du hattest mich Krisztina vorgestellt. Mit keinem Wort hast du je verlauten lassen, dass sie dich interessierte. Ich empfand unsere Begegnung, die zwischen mir und Krisztina, als so unmissverständlich wie sonst nie etwas im Leben. Sie hatte vielerlei Blut in sich: deutsches, italienisches, ungarisches. Vielleicht auch einen Tropfen polnisches, von der Verwandtschaft ihres Vaters her ... Und sie selbst war so schwer festzulegen und einzuordnen, als

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