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Die Glut

Die Glut

Titel: Die Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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könnte kein Volk, keine Gesellschaftsschicht sie völlig einschließen, als hätte die Natur für einmal versucht, ein selbständiges, unabhängiges und freies Wesen zu schaffen, das mit Klasse und Abstammung nichts zu tun hat. Sie war wie ein Tier: Die sorgfältige Erziehung, das Mädcheninternat, die Kultiviertheit und Zärtlichkeit ihres Vaters hatten nur ihr Benehmen geformt, innerlich aber war Krisztina wild und unbezähmbar. Alles, was ich ihr geben konnte, Vermögen und gesellschaftlicher Status, war ihr nicht wirklich viel wert, und aus dieser inneren Ungebundenheit, aus diesem Freiheitsdrang, wie sie ihr wesentlich waren, wollte sie sich für die Welt, in die ich sie geführt hatte, nicht ausgeben ... Auch ihr Stolz war ein anderer als der Stolz derer, die auf ihren Rang, ihre Abstammung, ihr Vermögen, ihre gesellschaftliche Stellung oder auf eine spezifische persönliche Fähigkeit stolz sind. Krisztina war auf ihre edle Wildheit stolz, die wie ein Erbe und wie ein Gift in ihrem Herzen und in ihren Nerven lebte. Diese Frau - wie du wohl weißt - war innerlich souverän, und das ist heute etwas sehr Seltenes; souveräne Menschen sind sowohl unter Männern wie unter Frauen selten. Offensichtlich ist das keine Frage der Abstammung oder der gesellschaftlichen Stellung. Sie war nicht zu beleidigen, es gab keine Situation, vor der sie zurückgewichen wäre, sie ertrug keinerlei Einschränkung. Und da war noch etwas, das bei Frauen selten ist: Sie kannte die Verantwortung, zu der sie ihr innerer menschlicher Rang verpflichtete. Erinnerst du dich ja, bestimmt erinnerst du dich - an unsere erste Begegnung, in dem Zimmer, wo die Notenblätter ihres Vaters auf dem großen Tisch lagen: Krisztina trat ein, und das kleine Zimmer füllte sich mit Helligkeit. Sie brachte nicht nur Jugend mit, nein, sie brachte Leidenschaft und Hochmut, das souveräne Selbstbewusstsein unbedingter Gefühle mit. Ich bin auch seither keinem Menschen begegnet, der allem, was die Welt und das Leben gibt, so vollkommen zu entsprechen vermochte: der Musik, einem frühmorgendlichen Spaziergang im Wald, der Farbe und dem Duft einer Blume, dem richtigen und intelligenten Wort eines Menschen. Niemand konnte einen edlen Stoff oder ein Tier auf die Art berühren wie Krisztina. Ich kenne niemanden, der sich über die einfachen Geschenke des Lebens so freuen konnte wie diese Frau: Menschen und Tiere, Sterne und Bücher, alles interessierte sie, aber nicht auf überhebliche Art, nicht mit verknöcherter Fachbesessenheit, sondern mit der unvoreingenommenen Freude des Weltkindes, das sich allem zuwendet, was das Leben zu zeigen und zu geben vermag. Als gingen alle Erscheinungen des Lebens sie persönlich an, verstehst du? ... Ja, du verstehst das bestimmt. Und in dieser unvoreingenommenen Nähe war auch Demut, die Erkenntnis, dass das Leben eine große Gnade ist. Zuweilen sehe ich noch ihr Gesicht«, sagt er mitteilsam, »in diesem Haus wirst du kein Porträt von ihr finden, es gibt keine Photographie von ihr, und das große Bild, das der Österreicher gemalt hat und das lange zwischen den Porträts meiner Ahnen hing, ist abgenommen worden. Nein, Krisztinas Bild wirst du in diesem Haus nicht mehr finden«, sagt er fast schon befriedigt, als berichte er von einer kleineren Heldentat. »Aber zuweilen sehe ich ihr Gesicht noch, im Halbschlaf, oder wenn ich in ein Zimmer trete. Und jetzt, da wir von ihr sprechen, wir zwei, die sie einigermaßen gut gekannt haben, jetzt sehe ich ihr Gesicht so deutlich wie vor einundvierzig Jahren, am letzten Abend, als sie zwischen uns saß. Denn das war der letzte Abend, an dem Krisztina und ich gemeinsam aßen, musst du wissen. Nicht nur du hast zum letzten Mal mit Krisztina zu Abend gegessen, sondern auch ich. Denn an dem Tag war alles geschehen, was zwischen uns dreien geschehen musste. Und da wir beide Krisztina kannten, waren bestimmte Entscheidungen unumgänglich: Du bist in die Tropen gefahren, Krisztina und ich sprachen nicht mehr miteinander. Sie hat noch acht Jahre gelebt, ja. Wir wohnten beide hier, unter einem Dach, aber sprechen konnten wir nicht mehr miteinander«, sagt er ruhig.
    Und blickt ins Feuer.
    »So waren wir«, sagt er einfach. »Allmählich verstand ich einen Teil des Geschehenen. Da war die Musik. Es gibt im Leben eines Menschen schicksalhafte Elemente, die immer wiederkehren, wie etwa die Musik. Zwischen meiner Mutter, Krisztina und dir war die Musik das Bindeglied. Wahrscheinlich sagte sie euch

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