Die Godin
bebten unmerklich; alles um sie roch köstlich, und in sanften Schüben kehrten die Bilder, Worte und Geräusche der vergangenen Nacht zurück.
Es klopfte. Unwillig hob sie den Kopf. >…mag nicht<, dachte sie. Sie wußte, wer an der Tür stand und nun erneut daran schlug.
Schließlich stand sie auf, zog sich an und öffnete.
Ein rundgesichtiger Junge stand vor der Tür.
Mia gähnte. »Guten Morgen, Beppi!«
Sein Gesicht glühte vor Verliebtheit. »Grüß Gott, Fräu’n Mia«, stotterte er aufgeregt, »ich soll dir den Brief da bringen. Er ist bei der Tant abgegeben worden. Schon am Samstag, aber sie hat gestern nicht mehr dran gedacht.«
Er hielt ihr zitternd das Kuvert entgegen.
Mia nahm den Brief und strich Beppi lächelnd über das Haar. Er errötete noch mehr.
»Dank dir schön - wart. Kriegst ein Gutl. Ein ganz besonders gutes.« Sie ging in ihr Zimmer zurück, öffnete eine Schachtel mit Pralinen, nahm eine davon heraus und drückt sie dem Jungen in die Hand. Der Junge sah gepeinigt zu ihr auf. Verstand sie denn nicht, daß er kein Kind mehr war?
»Heut… heut schaust so schön aus…«, stammelte er. Sie küßte ihn auf die Stirn. Er schien vor Verzückung zu versteinern. Sie gab ihm einen Klaps.
Mia schloß die Tür und stellte sich an das Fenster. Verwundert betrachtete sie den Absender. Sie kannte den Ort nicht. Was hatte sie mit einem Gemeindeamt irgendwo auf dem Land zu tun? Sie öffnete den Brief.
Als sie ihn gelesen hatte, setzte sie sich auf einen Stuhl und ließ die Hand, die den Brief hielt, auf ihren Schoß sinken.
>Seltsam<, dachte sie, >warum ist das bloß allweil so? Wenn einmal etwas gut ist, kommt auf dem Fuß was Traurigs.<
Als Kajetan die Tür zu Mias Wohnung hinter sich geschlossen hatte, überfiel ihn das unbestimmte Gefühl, als ob ihn jemand beoachten würde. Ihm war, als hätte er in der Tiefe des Treppenhauses ein Geräusch gehört. Er schlug seinen Kragen hoch und steckte seine Hände in die Taschen.
Das Treppenhaus führte in die unbeleuchtete Hofeinfahrt. Als er die letzten Stufen betrat, bemerkte er im winzigen Bruchteil einer Sekunde einen eigenartigen, tierhaften Geruch. Dann platzte eine Garbe blinkender Sterne vor seinen Augen. Er fühlte einen gellenden Schmerz im Nacken und ging benommen in die Knie. Wieder hechtete eine Gestalt auf ihn zu. Kajetan versuchte, sich zu seinem Angreifer zu drehen, duckte sich und hielt die Hände schützend über seinen Kopf. Faustschläge und Fußtritte jagten auf ihn herab. Der Angreifer schien außer sich vor Wut zu sein. In seinen keuchenden Atem mischte sich ein Geräusch, das wie Schluchzen klang.
Kajetan stieß mit seiner Faust heftig zu. Der Unbekannte torkelte zurück und wollte sich wieder auf Kajetan stürzen, als sich das Tor der Einfahrt öffnete. Im Lichtschein des bereits dämmernden Tages stand eine alte, gebückte Frau und blickte erschrocken auf das kämpfende Knäuel.
Der Unbekannte sprang auf und rannte mit weiten Schritten auf die in hilflosem Schrecken Erstarrte zu, stieß sie zur Seite und verschwand.
Stöhnend richtete sich Kajetan auf, schüttelte sich und tat einige Schritte. Ihn schwindelte. Er stützte sich an der Mauer ab und versuchte mit tiefen Atemzügen, den Brechreiz, den ein Schlag in den Magen bei ihm ausgelöst hatte, zu bekämpfen.
Die Alte gab ein leise empörtes »No…!« von sich und ließ ihn an sich vorbeigehen. Als er auf die dunkle Straße trat, war niemand mehr zu sehen. Außer einem stumpfen und regelmäßigen Patschen, das aus einem beleuchteten Bodenlicht einer Bäckerei drang, war es still. Benommen tappte er nach Hause. Vergeblich versuchte er zu schlafen. Schließlich stand er wieder auf. Die Geschäfte hatten bereits geöffnet, als er die Straße betrat. Kajetan kaufte sich eine Zeitung und ging in ein Cafe. Obwohl ihm das heiße Getränk guttat, blieb er unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen.
Was war in dieser Nacht mit ihm geschehen? Warum erst die Seligkeit, dann diese entsetzliche Versteinerung? Wovor hatte er Angst? Er schniefte zornig.
Er hatte nicht geschlafen und hatte gehört, was Mia ihn gefragt hatte. Es war dieselbe falsche, freundliche Frage, wie sie die fette Fleischerin am Roßmarkt stellt, wenn geschmäcklerisch tuende Kundschaft ihren Laden betritt. Ist es recht gewesen, das Ganserl, gnä’ Frau? Die Geschäftsleute-Frage. Die Stets-zu-Diensten-der-Herr-Frage. Die Hurenfrage.
Ohne etwas davon zu begreifen, streifte Kajetans Blick über die
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