Die Göring-Verschwörung
beiseite. Sein ganzer Kopf war nun feuerrot angelaufen. »Wardley hatte sich das selbst eingebrockt!«
»Er hat recht«, sagte Binnewies, seinen Untergebenen mit einer Handbewegung zur Ruhe mahnend. »Der Handelsattaché war eine tickende Zeitbombe. Als er uns meldete, dass man ihm auf den Fersen war, blieb nur diese Möglichkeit. Der SD hätte ihn früher oder später in die Mangel genommen und alles wäre aufgeflogen.«
»Er stand auf unserer Seite! Warum den eigenen Mann umbringen, wenn man sich anschließend ohnehin mit dem SD an einen Tisch setzt?«
»Ich konnte nichts tun. Niemand hätte etwas tun können«, antwortete Binnewies. »Die Situation zwang einfach dazu.« Er legte den Hörer zurück auf die Gabel und fixierte Clarson mit einem Blick, in dem die Bitte um Verständnis lag. »Der junge, dienstbeflissene Struttner war auf unsere Umsturzvorbereitungen gestoßen. Ein reiner Glückstreffer, während er dabei war, das Personal der diplomatischen Vertretungen auszuhorchen. Aber er war ehrgeizig und intelligent genug, um damit nicht zu seinem Vorgesetzten zu laufen, sondern gleich ganz nach oben zu Gruppenführer Heydrich. Der gab ihm einen persönlichen Sonderauftrag, auf dass alles unter seiner unmittelbaren Kontrolle blieb. Struttner sah die große Chance, sich vor Heydrichs Augen zu profilieren, und machte sich mit doppelter Energie ans Werk. Alle an der Verschwörung Beteiligten schwebten damit in höchster Lebensgefahr. Folglich musste der Handelsattaché dran glauben, um das Leck wieder zu schließen.«
»Und es gab keine Möglichkeit, Wardley schlicht nach London zurückgehen zu lassen, statt ihn zu erdolchen?«
»Nicht ohne zu riskieren, dass das ganze Unternehmen auffliegt. Wir brauchten eine kurzfristige und endgültige Lösung. Ein Reinhard Heydrich, der einmal Lunte gerochen hat, bleibt auch ohne Beweise ein gefährlicher Mann. Darum Hermanns Doppelstrategie: einerseits dem SD die Zähne ziehen, indem man ihn von seiner Informationsquelle abschneidet, und andererseits an Heydrich herantreten. Hermann kannte den SD-Chef. Er wusste, dass man bloß dessen glühenden Ehrgeiz zu bedienen brauchte, um ihn auf unsere Seite zu ziehen.«
»Aber er war doch auf Wardley als Verbindungsmann nach London angewiesen.«
»Nicht wirklich.« Binnewies schaute ihn an, als warte er, dass bei Clarson der Groschen fiel. »Denn plötzlich bist du auf der Bildfläche erschienen. Wardley hat dich höchstpersönlich als neuen Kontaktmann empfohlen, nicht ahnend, dass er damit sein eigenes Todesurteil unterschrieb.« Binnewies krempelte sich die Ärmel herunter und knöpfte sich die Manschetten zu. »Wir kannten dich natürlich nicht und mussten uns noch deiner Mitarbeit versichern. Da kam ein kleiner Aufenthalt in einer Zelle gerade recht.«
Clarsons Züge erstarrten. »Wardley ist bewusst auf eine Weise ermordet worden, die mich belastete?«
»Manke hat sich als echter Experte erwiesen, als Künstler geradezu«, erwiderte Binnewies, die schockierenden Wahrheiten ohne Befangenheit ausbreitend. »Hermann wollte sich den neuen Mann auf diese Weise gleich zu Dank verpflichten. Ihm das Gefühl geben, von seinem Schutz abhängig zu sein.«
»Und die Zeugin in der Bar?«
»War Mankes Begleiterin. Eine Kleinkriminelle, die sich so Haftverschonung erkauft hat. Ganz normales Verfahren. Wenn man einen Mann an einem öffentlichen Ort liquidieren will, bringt man am besten gleich seine eigenen Zeugen mit. Wäre aber gar nicht nötig gewesen, da du so freundlich warst, die Tatwaffe anzufassen.«
»Ein eiskalter und noch dazu überflüssiger Mord am eigenen Verbündeten«, kommentierte Clarson.
»Was hast du geglaubt, was wir hier tun, Henry?«, wurde Binnewies laut. »Wir waren dabei, unter den Augen von Millionen begeisterter Nazis Hitler den Gnadenschuss zu verpassen. Da kann man nicht in den Kategorien eines Gentlemansports denken. Ein hochwillkommener Ersatz für den verbrannten Handelsattaché warst du, nichts weiter. Und hast dankenswerterweise den Briten gleich noch glaubhaft gemacht, dass der SD hinter der Bluttat stände. Du hast dich wahrlich als ein grandioser Glücksfall erwiesen.«
»Was wäre bei der ganzen Sache für dich herausgesprungen? Der große Sprung auf der Karriereleiter?«
Binnewies schaute ihn verächtlich an. »Das ganze System des Nationalsozialismus ist letzten Endes nichts anderes als ein permanenter Kampf um Macht auf allen Ebenen. Entweder schaffst du es nach oben oder du wirst auf ewig
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