Die Göring-Verschwörung
ein gefährlicher Mann, ganz ohne Loyalität und Pflichtgefühl. Er hat ja auch einmal kurzzeitig in meinen Diensten gestanden. Ein ganz unzuverlässiges Individuum und überhaupt kein Nationalsozialist. Ich sehe keine andere Möglichkeit.«
»Na schön«, lenkte Göring ein. »Aber es muss kurzer Prozess gemacht werden. Wir brauchen einen sauberen Schnitt ohne Zeugenaussagen.«
»Genau zu diesem Zweck habe ich Obersturmführer Struttner hergebeten. Er ist der ideale Mann für derlei Operationen.«
»Gut. Bitten wir ihn herein.«
Heydrich trat zur Tür und ließ seinen Untergebenen eintreten. Struttner hatte inzwischen seine Pistole weggesteckt, seine Männer warteten im Flur.
»Sie haben sehr gute Arbeit geleistet, Obersturmführer. Ich bin sehr zufrieden«, empfing Heydrich den strammstehenden Struttner. »Dank Ihrer Hilfe ist es gelungen, eine hochverräterische Verschwörung schon im Anfangsstadium zu ersticken. General Weihnacht war der Kopf einer kleinen Clique dummer, unsagbar verbrecherischer Offiziere. Im Grunde ist das keine große Überraschung, denn er war ein widerwärtiger Defätist. Struttner, in dieser kritischen Phase, in der wir in Europa Umbrüche von welthistorischer Bedeutung erleben, heißt es, unter allen Umständen zusätzliche Unruhe innerhalb des Offizierskorps zu vermeiden. Ihre gesamte Operation unterliegt daher absoluter Geheimhaltung. Zu keinem Menschen darf ein einziges Wort über diese Sache dringen. Ich wiederhole: zu keinem Menschen. Haben Sie mich verstanden?«
»Jawohl, Herr Gruppenführer!«
»Mit der Liquidierung von General Weihnacht und Oberstleutnant von Dannegger sind wir fast am Boden der Verschwörung angelangt.«
»Herr Gruppenführer, ich glaube nicht, dass –«
»Und Sie, Struttner, haben in hervorragender Weise dazu beigetragen. Wir müssen jetzt noch einen letzten Hauptakteur dieser Affäre ausschalten. Unglücklicherweise ist er einer der engsten Mitarbeiter des Ministerpräsidenten.«
»Verstehe, Herr Gruppenführer«, antwortete Struttner. Sein perplexes Gesicht verriet das Gegenteil.
»Sie kennen den Mann, von dem ich spreche?«
»Jawohl, Herr Gruppenführer.«
»Ich erteile Ihnen hiermit den Befehl, der feigen Verschwörung gegen den Führer und unsere heilige nationalsozialistische Sache auch das geistige Haupt abzuschlagen. Gegen diese Zelle muss rücksichtslos vorgegangen werden. Sie haben selbst für die härtesten Maßnahmen sowohl meine Rückendeckung als auch die des Ministerpräsidenten.«
»Kennen Sie keine falsche Rücksicht!«, fügte Göring hinzu. »Wer sich gegen den Führer stellt, stellt sich gegen die Nation und ist des Todes.«
42
Nachdem er seine Unzufriedenheit über ihren Besuch in Abwesenheit Görings durch ein halb unterdrücktes Grunzen angezeigt hatte, geleitete der alte Hausdiener sie zu jenem Büro, in dem Clarson zwei Tage zuvor die Mitteilung über den Ausbruch des Krieges erhalten hatte.
Binnewies stand geschäftig an einem offenen Wandtresor, eine Zigarette im Mundwinkel. Koppel und Uniformjacke hatte er über Görings Schreibtischstuhl gehängt, die Hemdsärmel waren hochgekrempelt. Das große Fenster hinter dem Schreibtisch gab jetzt bei Tageslicht einen von den dünnen Gardinen kaum verdeckten Blick auf die grüne Rasenfläche eines Gartenparks frei. Im Hintergrund erkannte man die alten preußischen Parlamentsgebäude. Der Major zog mit besorgter Miene einen Stapel Akten aus dem Panzerschrank, doch ansonsten offenbarte er eine in Anbetracht der Situation irritierende Ruhe.
»Struttner ist im Begriff Göring zu verhaften«, wiederholte Clarson seine Worte vom Telefon, im Versuch ihn zu alarmieren.
»Das bezweifle ich«, entgegnete Binnewies. »Struttner ist ein Bluthund, aber er liegt an einer festen Leine. Das ist nicht das Problem.«
»Ich weiß nicht, woher du deinen Optimismus nimmst. Er hat Vizebotschafter Ashfield erpresst, der ihm prompt sämtliche Details anvertraut hat.«
Binnewies lachte kalt und schüttelte den Kopf. »Wir ahnten zwar, dass das Leck irgendwo in der Botschaft lag. Doch dass der Geschäftsträger höchstpersönlich dahintersteckt, ist schon ein echter Treppenwitz.« Der Major schien sich nur wenig für Clarsons Enthüllung zu interessieren.
»Und ich habe gerade miterlebt, wie er mit seinen Männern losmarschiert ist, um Göring festzunehmen«, fügte Clarson hinzu.
»Hermann hat das unter Kontrolle, verlass dich darauf. Heydrich wird den Teufel tun, seinen Verbündeten fallen
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