Die Göring-Verschwörung
hörten.
»Nanu, noch da?«, gab Clarson zurück.
»Ja, leider«, antwortete Jenner, ohne sein schelmisches Grinsen einzustellen. »Jetzt wo der Krieg losgeht, hat mich mein Boss mit einem neuen Auftrag beglückt – da ich gerade sowieso in Berlin bin.«
Es entstand eine kleiner Tumult unter den kaum dreißig Zaungästen, als ein Mann in dunklem Mantel und mit Zylinder aus der Reichskanzlei trat. Eifrig bemühten sich die Fotojournalisten um ein titelseitengerechtes Bild des unscheinbaren Herrn, der es eilig hatte, in der bereitstehenden Limousine zu verschwinden. Auch Jenner sprang hinzu, hielt sich eine kleine Taschenkamera vor das Auge und ließ seine Finger in schneller Folge abwechselnd den Auslöser drücken und den Film weiterdrehen.
»Das war der tschechische Gesandte«, erklärte er, nachdem der Wagen um die Ecke zur Voßstraße verschwunden war. »Machte ein ziemlich betretenes Gesicht, was?«
Das war kein Wunder. Der Diplomat würde in seiner Manteltasche eine Kriegserklärung tragen, ausgehändigt von einem wütenden Reichskanzler oder seinem unsäglichen Außenminister. Offenbar hatte Hitler das Tempo noch einmal verschärft und den Vertreter der Tschechoslowakei früher einbestellt.
»Ich sehe, Sie sind jetzt politischer Journalist?«
»Hat sich momentan so ergeben. Obwohl ich eher an den privaten Seiten der Politikerwelt interessiert bin. Ich liefere den Blick hinter die Kulissen.«
»Und das bedeutet?«
»Nun, zum Beispiel der Klatsch in der Bar über Goebbels’ Seitensprünge hat mir mehr als genug Material für eine herrliche Reportage gegeben. Ist gestern auf fast allen Radiostationen der Ostküste gelaufen. Jetzt brauche ich nur noch ein schönes Foto des kleinen Ministers für den Bericht in einer Illustrierten, am besten mit einem deutschen Fräulein im Arm.« Er hielt Clarson breit grinsend seine Kamera vors Gesicht. »Wunderbares Ding, die Leica. Macht Bilder, wie eine der großen, mit den riesigen Linsen. Ist das Produkt einer deutschen Firma und verkauft sich bei uns in den Staaten wie verrückt, aber versuchen Sie mal, hier in Berlin eine in die Hände zu kriegen.« Er ließ die Kamera in seine Manteltasche gleiten und holte eine Packung Zigaretten heraus. »Ich könnte noch etwas vertrauliches Material gebrauchen. Die Inside-Story der Ehekrise, sozusagen.«
»Kommen Sie damit nicht ein wenig spät?«
Jenner schüttelte den Kopf, während er die Flamme seines Streichholzes vor dem Wind abschirmte. »Unsere Hörer sind ganz begierig darauf, mehr zu erfahren. Sie wissen doch Dinge, die sonst keiner weiß. Wie wäre es mit einem Exklusivinterview?«
Clarson lächelte ihn nur an.
»Na gut«, sagte Jenner, »verstehe Ihre Zurückhaltung. Dann machen wir es eben anonym und ich gebe alles vertraulich und ohne Quellenangabe an meine New Yorker Zentrale weiter.«
»Vergessen Sie das besser«, erwiderte Clarson schmunzelnd und verabschiedete sich. Er hatte im Augenblick weder Zeit noch Sinn für Jenners neu entdeckte Vorliebe für Klatschreportagen.
»Wann sind Sie mal wieder in der Bar?«, rief Jenner ihm nach.
Clarson ging über den Vorhof zur Rechten von Hitlers Amtssitz zum Eingang der altehrwürdigen Reichskanzlei aus Bismarcks Zeiten, die von Speers Protzbau zum Nebengebäude degradiert worden war. Hier befanden sich die Wohnräume Hitlers und auch der kleine Speisesaal, in dem er sein Mittagsmahl im Kreise von Vertrauten einzunehmen pflegte. Goebbels kam nahezu täglich aus seinem Ministerium herüber, unausgesetzt die Nähe zu seinem Führer suchend, dem alleinigen Fundament seiner Macht.
Magda begleitete ihn, wann immer sie in der Stadtvilla weilte und der Zustand ihrer Ehe es angemessen erscheinen ließ. Status und Macht übten eine nahezu hypnotische Anziehung auf sie aus; Dinge, die Ariane geradezu abstießen. Es war sonderbar, wie sehr Magda an ihrer jüngeren Schwester hing, wie viel ihr das enge Verhältnis zu ihr bedeutete, obwohl beide nicht unterschiedlicher hätten sein können. Fast schien es Clarson, als wollte sie Ariane in ihre Welt hineinziehen, um sich auf diese Weise eine Art Absolution für den gewählten Lebensweg einzuholen und zugleich ein Stück ihrer ursprünglichen Identität hinüberzuretten in ihr neues Dasein.
Die beiden Beamten von der Eingangspforte trugen der Krisensituation angepasste Mienen. Im direkten Gespräch gaben sie sich jedoch zuvorkommender, besonders als Clarson auf seinen Namen auf der Einladungsliste des Tages hinweisen
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