Die Göring-Verschwörung
angetreten.«
Göring schritt zu einem der Fenster und warf einen flüchtigen Blick hinaus.
»Ich glaube ein paar Worte an die Truppe wären hilfreich in der gegebenen Situation, Herr Generalfeldmarschall«, erklärte Binnewies, wie stets ruhig und gefasst.
»Natürlich.« Göring wies mit der Hand auf Clarson. »England macht Schwierigkeiten. Die Herren dort sind, wie es scheint, nicht bereit, ihr Liebesverhältnis mit dem Pazifismus aufzugeben.«
Binnewies schaute Clarson mit stillem Vorwurf an, als verhindere er das Eingreifen Londons persönlich.
Göring setzte seine Offiziersmütze auf und ging zu einer großen roten Schatulle mit Goldbeschlag, die auf einem kleinen Tisch unterhalb eines gerahmten Wandspiegels stand. Mit respektvoller Behutsamkeit öffnete er das Behältnis.
Clarson spähte aus dem Fenster. Im Innenhof des Ministeriums standen circa zweihundert Mann von Görings Leibregiment mit geschulterten Gewehren in Habtachtstellung. Er schaute Binnewies fragend an.
»Ich fürchte, der Führer wird sich heute an seinem Mittagessen verschlucken«, sagte der Major leise.
»Was, heute Mittag?«, raunte Clarson schockiert. »In ein paar Stunden?«
Binnewies nickte kurz, ohne eine weitere Regung zu zeigen.
»Wie soll die britische Zusage unter diesen Umständen noch rechtzeitig eintreffen?«, fragte Clarson, der den Druck der sich überstürzenden Ereignisse spürte. Plötzlich fand er sich im Zentrum eines Staatsstreichs wieder, im Büro des Rädelsführers, der im Begriff war, seine Truppen auf den Tyrannenmord einzustimmen.
»Spielt keine Rolle, es gibt jetzt sowieso kein Zurück mehr. Aber die verdammte Kriegserklärung muss her. Es fehlte noch, dass Ihr Briten den Franzosen im letzten Moment in den Arm fallt.« Göring stand mit dem Rücken zu ihnen und hatte seinen Marschallstab aus dem seidenen Bett der Schatulle befreit. Das fünfzig Zentimeter lange Utensil, das den höchsten aller militärischen Ränge repräsentierte, war zwischen den goldverzierten Enden mit hellblauem Samt überzogen und übersät mit den Emblemen der Zeit: Eiserne Kreuze, Balkenkreuze und kleine goldene Wehrmachtsadler mit Hakenkreuz. Göring hielt kurz vor dem Spiegel inne, sich selbst mit dem Artefakt grüßend.
Binnewies lenkte seinen Blick auf Clarson.
Der Marschall nickte. »Gehen Sie!«, rief er mit einer Inbrunst, als sei er bereits dabei, seine Ansprache zu halten. »Übermitteln Sie Ashfield die Nachricht von des Führers wahren und eindeutig dokumentierten Absichten! Überzeugen Sie London, wie töricht es ist, auf das amtierende Regime zu setzen! Es ist jetzt höchste Eile geboten.« Er begann, ihn mit dem Marschallstab aus dem Zimmer zu winken. »Ich werde schon bald für direkte Konsultationen zur Verfügung stehen.«
»Ich werde tun, was in meiner Macht steht«, erwiderte Clarson. Außerdem würde er sicherstellen, dass Ariane und er nicht zum falschen Zeitpunkt an Hitlers Mittagstafel saßen.
»Warten Sie noch!«, rief Göring, als Clarson bereits an der Tür war. »Es kann etwas durcheinander gehen im Laufe des Tages. Wir stellen Ihnen besser ein Schreiben aus, das sicherstellt, dass sie unter allen Umständen gleich zu mir vorgelassen werden.«
Binnewies nahm an einem Seitentisch vor einer Schreibmaschine Platz, legte das Papier mit Görings Briefkopf und Wasserzeichen ein und tippte einen kurzen Text.
Herr Henry Charles Clarson ist gegen Vorlage dieses Schreibens ohne jeden Verzug und Ausnahme zu Ministerpräsident Generalfeldmarschall Hermann Göring vorzulassen.
Er riss das Blatt aus der Maschine und unterzeichnete. Dann zündete er einen Barren Siegellack an und ließ einen fetten Tropfen auf das Schreiben fallen. Göring trat hinzu und drückte mit hochherrschaftlichem Habitus seinen Siegelring auf den roten Fleck – wie ein Renaissancefürst aus einer der dekadenteren Seitenlinien der Medici. Dann unterschrieb er am Fuß des Blattes neben den Worten Für die Richtigkeit: Ministerpräs. Gen.feldmarsch. Göring.
32
Der Portier des Adlon, ein Bär von einem Mann in einem bordeauxroten Dienstmantel, öffnete die Wagentür mit freundlicher Miene, zog den Zylinder und grüßte Clarson mit Namen.
Clarson kletterte eilig aus dem Fond des Taxis, das er vor dem Ministerium herbeigewinkt hatte, und hielt mit langen Schritten auf den Eingang zu. Über dem Pariser Platz hingen dichte, dunkle Wolken. Es war einer jener Vormittage, an denen es nicht richtig hell wurde und alles mit einem
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