Die Göring-Verschwörung
Grauschleier überzogen blieb. Vor dem Hotel händigte ein fröstelnder Zeitungsjunge Passanten eine Sonderausgabe des Angriff aus, die Goebbels hatte drucken lassen, um das Publikum mit den neuesten Schauermärchen über die Tschechen und ihre Untaten an der deutschen Minderheit auf das Kommende einzustimmen. Seinen Bemühungen, eine allgemeine Kriegslüsternheit zu entfachen, blieb der Erfolg gleichwohl versagt. Die Menschen griffen schweigend zu den feilgebotenen Zeitungen, verbittert auf ein Wunder hoffend, das den Frieden retten würde.
In einem Augenblick charakterlicher Schwäche war Clarson gestern auf Magdas Einladung eingegangen, weil er so unmittelbar wie möglich das historische Ereignis von Hitlers Entmachtung hatte miterleben wollen. Sich mit Ariane an des Kanzlers Mittagstafel einem möglichen Feuergefecht mit Todesfolge auszusetzen, war jedoch mehr Nähe zur Weltgeschichte, als ihm lieb war. Die einfachste Lösung war, dass Ariane im Hotel blieb oder sich in ein Taxi setzte und die Stadt verließ, bis alles vorbei war. Er selbst beabsichtigte nach Görings letzter Enthüllung, sofort zu Ashfield zurückzukehren. Doch Ariane würde ihre Halbschwester unter keinen Umständen blind in eine solche Gefahr laufen lassen. Also musste es irgendwie gelingen, Magda davon zu überzeugen, heute der Reichskanzlei fernzubleiben, ohne sie in Vorgänge einzuweihen, von denen sie besser nichts erfuhr.
»Die gnädige Frau hat das Hotel vor wenigen Minuten verlassen, Herr Clarson«, meldete der diensttuende Chef der Rezeption freundlich und zuvorkommend wie stets, während er den Zimmerschlüssel aushändigte. »Sie lässt ausrichten, dass Sie um zwölf Uhr dreißig am Eingang der Alten Reichskanzlei erwartet werden.« Angesichts von Clarsons Verwunderung fügte er hinzu: »Sie ist von der hohen Frau abgeholt worden.«
»Hohe Frau?«
»Die Gemahlin von Reichsminister Goebbels, Herr Clarson.«
Es war gerade einmal zehn Uhr dreißig. Ob Sie schon zur Reichskanzlei aufgebrochen waren? Magda hatte sich gestern während des Festes damit großgetan, dass sie ihnen die sagenhaften Säle der Neuen Reichskanzlei vorführen werde, und sie auf diese Weise wissen lassen, wie frei sie sich im Zentrum der Macht bewegen konnte.
»Geben Sie mir die Reichskanzlei, bitte.«
»Pardon, Herr Clarson?«
»Lassen Sie sich bitte mit der Pforte der Reichskanzlei verbinden.«
»Sehr wohl, Herr Clarson, sofort.«
»Irgendwelche Neuigkeiten?«, fragte er wartend einen zweiten Angestellten. Es bedurfte keiner Erläuterung, worauf er sich bezog. Der drohende Krieg war das beherrschende Tagesgespräch.
»Tut mir leid, Herr Clarson«, kam die Antwort mit einer Prise Mitgefühl für den englischen Gast. »Die aktuellen Schlagzeilen lassen wenig Hoffnung.«
Er wies auf einige Exemplare der Berliner Morgenpost , die an der Seite des Tresens lagen. Tschechische Grenzprovokationen blutig zurückgeschlagen – Reservisten zu den Waffen gerufen – Paris lügt und hetzt. Clarson sparte sich die Mühe, die dazugehörigen Artikel zu studieren.
Der Chef der Rezeption hatte persönlich die gewünschte Verbindung hergestellt und stellte das Tablett mit Telefon und danebenliegendem Hörer routiniert lächelnd vor ihn auf den Tresen.
Die Pforte der Reichskanzlei zeigte sich weniger hilfsbereit. »Ich bedaure, wir geben am Telefon grundsätzlich keine Auskünfte.«
»Sie werden doch Buch führen, über den Ein- und Ausgang von Besuchern. Alles, was ich möchte, ist, dass Sie mir mitteilen, ob meine Frau sich in Ihrem Hause aufhält.«
»Ich bedaure, Vorschriften sind Vorschriften. Heil Hitler.«
Der Mann hatte aufgelegt. Clarson dankte den Herren in der bordeauxroten Livree des Adlon und machte sich auf den Weg.
Er stutzte, als er eines der Gesichter in der kleinen Menschenmenge vor der Neuen Reichskanzlei am Wilhelmplatz erkannte. Er hatte es nicht mehr in Berlin vermutet. Eine schwarze Limousine wartete vor dem Eingang und auf dem Bürgersteig hatten sich Männer der Leibstandarte postiert. Das Meisterwerk von Hitlers Lieblingsarchitekten Speer würde so kurz nach seiner Einweihung noch unvermindert Schaulustige anziehen. Die Gruppe um den Eingang bestand jedoch aus Reportern, die angelockt wurden von Gerüchten, dass große Ereignisse bevorstünden.
Patrick Jenner hatte ihn ebenfalls erkannt. »Hallo Mister Goebbels«, grüßte er feixend.
Einige der in der Nähe Stehenden drehten verwundert ihre Köpfe, als sie den bekannten Namen
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