Die Götter 2. Das magische Zeichen
die Stirn. Er schlenderte ein paar Schritte an den Zinnen entlang und kehrte dann mit einer neuen Idee zurück.
» Vielleicht hielten sie dich für unseren Anführer und wollten uns einschüchtern, indem sie dich gefangen nehmen. Um uns zu zwingen, die Waffen niederzulegen. «
» Das glaube ich nicht. Anfangs waren sie uns haushoch überlegen, und nichts wies darauf hin, dass sie Gefangene machen wollten. «
» Dann solltest du vielleicht als Geisel dienen. Als eine Art Tauschmittel. Vielleicht sind ihnen Vater und die anderen ein Dorn im Auge, und jetzt versuchen sie, uns in ihre Gewalt zu bringen, um unsere Eltern zu erpressen … «
» Das passt irgendwie nicht. In diesem Fall hätten sie versucht, uns alle gefangen zu nehmen. «
» Herrje, dann weiß ich es auch nicht! « , brauste Guederic auf. » Außerdem, sei doch froh! So ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass du den nächsten Angriff überlebst. «
» Ich habe die Tagebücher gelesen « , wechselte Damián unvermittelt das Thema. » Das von Corenn und auch das von Vater. «
Guederic baute sich vor ihm auf und sah ihn stirnrunzelnd an. Damián nahm ihm seine Reizbarkeit nicht übel. Wie auch ihn quälte seinen Bruder vor allem die Frage, warum sie sich in dieser misslichen Lage befanden.
» Und? « , drängte Guederic. » Steht etwas darin, was erklären könnte, warum dich die Kerle verschont haben? «
» Nein « , sagte Damián zögernd. » Aber Vater und Großmutter erzählen von so vielen Gräueltaten, von so viel Leid … «
Er schluckte schwer. Er musste es sagen, zumindest seinem Bruder, sonst würde er noch verrückt.
» Ich habe Angst, Guederic « , gestand er leise. » Angst vor dem, was wir entdecken werden. Angst vor dem, was mit uns geschehen wird. «
Lorilis, die sich zum Schlafen in einem Sessel zusammengerollt hatte, schreckte durch einen Knall hoch und geriet kurzzeitig in Panik, bis sie begriff, dass Maara nur ihre Decke ausgeschlagen hatte. Entschuldigend hob die Kriegerin die Hand und faltete die Decke seelenruhig zusammen. Najel lugte hinter dem Rücken seiner Schwester hervor und schenkte Lorilis ein mitfühlendes Lächeln. Das Mädchen verzog unwillig das Gesicht. Es war offensichtlich, dass die Barbarenprinzessin sie und die anderen mit Absicht geweckt hatte.
Da nun an Schlaf nicht mehr zu denken war, schob Lorilis den grauen Umhang beiseite, den Souanne ihr für die Nacht geliehen hatte, und streckte die Beine aus. Im Saal war es noch kälter als am Abend zuvor. Zwei Drittel der Kerzen waren mittlerweile erloschen. Immerhin war draußen endlich die Sonne aufgegangen! Nie wieder würde Lorilis die Nacht mit gleichen Augen sehen, nach all den haarsträubenden Geschichten über ihre Eltern, die Josion erzählt hatte, nach all den Enthüllungen über die Götter und Dämonen und nachdem sie nur knapp den Angriff einer Mörderbande überlebt hatten, deren Beweggründe sie nicht kannten. Als Kind hatte Lorilis Angst im Dunkeln gehabt, und diese Furcht war jetzt zurückgekehrt.
Sie richtete sich in dem Sessel auf und ließ den Blick durch den Saal schweifen: Damián und Guederic waren fort. Man musste ihr die Sorge ansehen, denn Najel kam zu ihr herüber, noch bevor sie Gelegenheit hatte, nach dem Verbleib der Brüder zu fragen.
» Die beiden sind vor ein paar Dezillen nach draußen gegangen « , erklärte er. » Sie wollten nur eine kurze Runde drehen, um sicherzugehen, dass uns keine weitere Gefahr droht. Sie haben versprochen, so schnell wie möglich zurückzukommen. «
Lorilis nickte und sah dann zu der Tür hinüber, hinter der sich Zejabel mit Josion verschanzt hatte.
» Sie haben sich immer noch nicht blicken lassen « , berichtete Najel. » Maara hat gerade eben noch einmal nach ihnen gerufen. Keine Antwort. «
Lorilis nickte abermals und dankte dem Wallatten mit einem schmalen Lächeln, dabei war sie alles andere als froh. Das einzige Gute an den letzten Dekanten war, dass sie alle den Überfall der Mörderbande überlebt hatten. Allerdings wusste niemand, wie es um Josion stand. Nach dem Kampf war er totenbleich gewesen, so dass sie mit dem Schlimmsten rechnen mussten. Jedenfalls war ihre Lage hoffnungslos – schlimmer noch, als Lorilis bei ihrer Ankunft auf der Burg befürchtet hatte. Die Mörder hatten sie beharrlich bis in den Norden Lorliens verfolgt und schienen immer den genauen Aufenthaltsort der Gefährten zu kennen. Und zu allem Überfluss standen die Kerle vermutlich auch noch im Dienst einer
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